waxwahr
Neuer Kunstverein Regensburg
Einladungen verschicke ich nicht nur an Menschen, von denen ich weiß, dass sie nicht kommen werden, die aber wissen sollen, dass ausgestellt wird, sondern an zahlreiche Institutionen wie Kunstvereine, Galerien und so weiter. Diesmal hatte ich einige Galerien neu in den Verteiler aufgenommen. Einen Tag nachdem er die Einladung bekommen hatte, kam von einem Galeristen eine Mail zurück. Er wies mich auf einen Künstler hin, von dem er einen Laib aus Bienenwachs besitze. Er zeigte sich überaus erstaunt, dass es die Form war, die auch ich benutzte. Ihm war scheinbar nicht klar, dass ich sie unter anderem verwende, da die Imker sie seit Jahrtausenden benutzen, um Wachs zusammen zu schmelzen. Er wies mich auf die Provenienz der Arbeit hin, die er besitze, und fragte, ob ich an einem Ankauf interessiert sei. Nach ein paar Tagen antwortete ich, dass er gerne Arbeiten von mir ankaufen könne, dass es mir jedoch lieber sei, er würde sich dafür zuerst meine Ausstellung anschauen, damit er wisse, in welchem Zusammenhang sie stünden.
Fatschenkinder
Geschmacksrichtungen:
Himbeere
Apfel
Ananas
Erdbeere
Zitrone
Orange
Die Vorbereitung zu der Ausstellung begann für mich etwa Mitte Januar. Ich tat mir schwer mit den Materialitäten des Raumes. Die Wände wirken authentisch. Sie sind bucklig, oftmals verspachtelt und gestrichen und an manchen Ecken ein wenig feucht. Die äußeren tragen das Haus. Sie stehen im Widerspruch zum Boden. Der besteht aus Laminat, das vorgibt, ein lasiertes Hartholzparkett zu sein. Renate, Künstlerin und Vorsitzende der Galerie, hatte sich eine Arbeit mit Bienenwachs gewünscht und ich kam dem nach. Nur war es mir unmöglich, Wachs auf Plastik zu zeigen. So lag ich von Mitte Januar bis Mitte Mai auf der Bank in meiner Küche und wälzte plastische Ideen. Gleich zu Beginn hatte ich Stefan Mayer, einem Freund und Bildhauer, der ein Sabbatjahr in der Schule eingelegt hatte und mit seiner Frau nach Brasilien gefahren war, mein Dilemma erklärt. Zum Boden war sein schlichter Kommentar: „weiche Raumgrenze.“ Für einen Betonboden hätte ich zahllose Einfälle gehabt, für Holz vielleicht einen oder zwei. Die Arbeit würde im Kern aus verschieden farbigen Wachsscheiben bestehen. Das war mir gleich klar. Die meisten Einfälle verband, sie vom Boden zu heben. Oder, um es deutlicher zu sagen: Ich musste sie da weg haben!
Zur Eröffnung sprach Renate Haimerl Brosch, die Vorsitzende, lange über die Möglichkeiten, die Wachs bietet und die Rollen, die es über die Jahrhunderte einnahm. Ich hatte ihr das Buch Geformtes Wachs von Charlotte Angeletti geschenkt. Es ist in jeder Hinsicht herausragend: reich bebildert und mit einem schlüssigen Text. Frau Angeletti war lange im Münchener Stadtmuseum angestellt. Im Übrigen geht es in ihrem Buch gelegentlich um die ehemalige Handelsniederlassung Regensburg. Dorthin wurde das Wachs aus Afrika, Asien, dem Nahen Osten und den umliegenden Ländern befördert. Es wurde entweder sofort verbraucht, seit frühester Zeit in Form von Kerzen, oder es wurde gebleicht, umgegossen, umverpackt und weiter transportiert.
Als die Besucher schließlich Fragen an mich richten konnten, war das meiste bereits abgehakt. Vor dem weiten Feld der plastischen Möglichkeiten war die Ausstellung vielleicht ungewöhnlich, aber fiel nicht aus dem Bild. Womöglich wollte noch jemand wissen, wie die unterschiedlichen Farben zustande kommen: durch den im Wachs befindlichen Pollen. Jemand fragte nach dem Wachsfigurenkabinett der Madame Tussaud. Die verwendete aber Industriewachs.
Zur Halbzeit der Ausstellung, an einem Samstag, bei dem die Sonne mit 35°C vom wolkenlosen Himmel brannte, fand ein Gespräch zwischen Tony Kobler und mir statt. Tony wird offiziell als Kunsthistoriker vorgestellt, seine Bandbreite geht aber weit in die Philosophie hinein und streift dabei notgedrungen zahlreiche Bereiche. Ich schlug das Gespräch vor, damit es nicht bei den Objekten und Blättern, vor denen sich viele Besucher in Unverständnis herum schoben, bleiben musste. Es kam mir vor wie ein Angebot im Supermarkt. Dabei ist das Zusatzprogramm zunehmend üblich.
Unser eigentliches Gespräch fand einen Tag vorher statt. Wir hatten uns vor der Ausstellung nicht gekannt, nur anfangs kurz telefoniert. Von Freitag vormittags bis abends um acht wogte das Gespräch hierhin und dorthin. Wir saßen an verschiedenen Orten, erst in dem Restaurant neben dem Kunstverein, dann bei Tony im schattigen Garten. Als wir unter die Bäume traten, sagte ich: Hier fehlen Bienen. Abends saßen wir in der Küche. Seine Frau kochte und sagte, sie erwäge schon lange die Bienenhaltung. Wir aßen und es ging allgemein darum, wie viel Zeit dafür zu investieren sei. Das Gespräch bewegte sich selten weiter als einen Finger breit vom Thema weg.
Tony sprach in Begriffen. Und mir sind sie fremd. Ich hatte das Gefühl, dass hier ein Glatteis lauerte. Er wollte meine Ästhetik kennen lernen. Ich antwortete: Das sind für mich Wolken (Cirrus), ausgefranste Schleier, die weit oben am Himmel treiben. Dann war ihm daran gelegen, die Idee hinter der Arbeit kennen zu lernen. Dazu sagte ich schlapp, dass ich bei dem Wort Idee an Goethe denken müsse – und das ist nicht angenehm.
Eines ist mir vor allem in Erinnerung. Er sprach davon, dass wir am Folgetag, in den Räumen der Galerie, eine gute Show abliefern müssten. Zunächst war ich befremdet, aber schließlich kam ich zu dem Schluss: Womöglich ist es genau das.
Der Geist des Tales stirbt nie
Der Satz, der auf einen Streifen Papier gestempelt in der Türfüllung hing, fasst die Ausstellung ein. Er stammt aus dem ersten Buch des Tao. Darin habe ich nie viel gelesen, aber es begleitet mich stetig seit dem Beginn der 80er Jahre. Der sechste Vers beginnt mit diesem Satz. Ein besonderes Problem ist die Übersetzung. Die von Lin Yu Tang, selbst Dichter, erreichte die USA kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Von dort wurden verschiedene Übersetzungen ins Deutsche transportiert. Manche davon sind ungelenk. Diese hier fließt wenigstens vom Rhythmus her ungehindert dahin.
Nördliche Breite, Östliche Länge und Plastischer Eingriff
The James ossuary was on display at the Royal Ontario Museum from November 15, 2002 to January 5, 2003
Ein Foto, das ich ursprünglich für die Sargskulptur verwenden wollte, hatte ich von den Stockfotos (Getty-Images) heruntergeladen. Eines Tages schrieb ich an diese Leute, um die richtige Auszeichnung des Copyrights genannt zu bekommen. Man wies mich jedoch darauf hin, dass die Verwendung des Fotos, zumal, wie ich es tat, völlig unmöglich sei. Folglich verwarf ich die gesamte Skulptur, löschte die unmöglichen Bilder und suchte mir ein neues Foto. Dabei entdeckte ich auf Wikipedia eine blockartige, steinerne Kiste, in der die Gebeine eines gewissen Jesus gelegen haben sollen. Dieser Sarg hat eine ganz eigene Geschichte. Es gab einen gerissenen Verkäufer und einen blinden Käufer. Doch der Käufer fand seine Sinne wieder und ließ die Echtheit der Kiste prüfen. Dabei kam heraus, dass es nicht der besagte Jesus gewesen war, der darin gelegen hatte und man bezeichnete den Verkäufer in der Folge als Kunstfälscher. Ein langwieriger Gerichtsprozess rollte an und schließlich wurde entschieden, dass es zwar nicht Jesus‘ Sarg war, aber dass der Verkäufer dennoch kein Fälscher war. Zur damaligen Zeit, ungefähr im Jahre null, hatten mehrere Josephs mit Söhnen namens Jesus in Jerusalem gewohnt und mutmaßlich war es der Sarg eines von denen. Da dem Nutzer des Bildes diesmal alle Rechte übertragen waren, konnte ich auch das Seelenloch einfügen, dort hinaus konnte in Ruhe die Seele entweichen und sich zum Himmel aufschwingen, im Fegefeuer brutzeln oder gar in die Hölle hinab gestoßen werden. Wer weiß?
Die Arbeit trägt den Titel Flugloch. Denn natürlich ist die altbackene Kiste gedacht als künftiger Bienenstock.