2022

hic sunt leones

Das Buch Die Sprache der Bienen von J. Tautz erschien im Jahr 2021. Ich stieß darauf und kaufte es mir sofort, da ich glaubte, darin seien zahlreiche Fragen zur Bienenkommunikation, die sich in mir angesammelt hatten, endlich beantwortet worden. Beispielsweise hatte ich angefangen, mir über Phänomene Gedanken zu machen, die bei den Bienen als Fehlleistungen eingestuft werden. Dazu gehört explizit das „Verfliegen“. Eine Biene fliegt „versehentlich“ in einen anderen Stock, bringt Nahrung mit und wird eingelassen, bringt womöglich aber auch Krankheiten mit beispielsweise die gefürchtete Varroamilbe. Eine gegensätzliche Deutung, die ich in Betracht zog, war dass auf diesem Weg Informationen ausgetauscht werden. Auf dieselbe Weise gelangte ich zu mehreren offenen Fällen. Einer betrifft den Informationsaustausch von Stöcken, die am selben Bienenstand stehen. Es heißt, dass sie voneinander unabhängig sind. Meine Frage ist, ob es Bereiche gibt, in denen sie als Ganzes agieren. Doch bereits die Befruchtung einer Königin aus dem einen Volk durch eine Drohne aus einem anderen Volk, muss als Austausch genetischer Information gesehen werden. Auf diese Weise summierten sich nicht nur Fragen, sondern sie hätten auch in eine Ordnung gebracht und solide beantwortet werden müssen. Für mich ist Wissenschaft hier nicht Selbstzweck, wie ihr gelegentlich unterstellt wird. Ich erwarte Antworten.

Nachdem ich das Buch durchgearbeitet hatte, war ich zunächst enttäuscht. Die meisten meiner Fragen blieben unbeantwortet. Der Titel „Sprache“ erschien mir maßlos überzogen. Zudem fand ich heraus, dass Herr Tautz mittlerweile emeritiert worden war. Allerdings enthielt das Buch zahlreiche neue Erkenntnisse sowie Neudeutungen oder Umdeutungen zum Bienentanz und den fast ein Jahrhundert dauernden Querelen darum. Dass Bienen so genannte Tänze vollführen, wurde bereits von Aristoteles beobachtet. Dass darin eine Sprache verborgen ist, wurde von Karl von Frisch in den Zwanzigerjahren des Zwanzigsten Jahrhunderts näher beobachtet und erforscht und trug ihm viele Jahre später einen Nobelpreis ein. Nun gibt es Befürworter einer sehr engen Sichtweise, die glauben, eine junge Suchbiene werde durch die tanzähnliche Bewegung einer älteren Biene auf dem Wabengrund zur Futterquelle geschickt. Berücksichtigt man, wie klein Bienen sind und wie weit sie fliegen, wird diese These ins Absurde gerückt. Ein Winkelgrad Abweichung beim Tanz bewirkt in einer Entfernung von 3 km mehr als 50 m Unterschied. Der Durchmesser des Kreises, innerhalb dessen sich die Vortänzerin bewegt, beträgt aber kaum 5 cm. Diese gehäuften Unmöglichkeiten geben Gegnern von Karl von Frischs Entwurf reichlich ablehnende Argumente. (An dieser Stelle lugt ein Stück Wissenschaftsgeschichte in den Raum.) Das geht bis dahin, dass eine ganze Schule um einen heutigen Wissenschaftler den Bienentanz als Informationsweitergabe ganz ablehnt und ihm eine andere, wenngleich noch nicht bekannte Funktion zumisst.

Herr Tautz präsentiert in seinem Buch ein neues dreistufiges Modell, mit dem beide verfeindete Schulen vereint werden können. Herr Tautz hat – elegant, wie ich finde – die beiden bislang unvereinbaren Erklärungsweisen verbunden, indem er in die Mitte einen neutralen Raum gesetzt hat. Der kann von beiden Parteien nicht betreten werden. Herr Tautz leistet sozusagen die Arbeit eines Mediators. Anfangs gibt es weiterhin den Bienentanz, mit dessen Hilfe junge Sammelbienen in eine ungefähre Richtung geschickt werden. Am Schluss finden die Bienen mithilfe von Duft und Farbe sowie durch die Unterstützung älterer Bienen zur Blüte. Am Anfang steht das Schicken, am Ende das Locken. Dazwischen liegt ein Suchraum, der sich bislang nicht erforschen lässt. Das hängt, wie Herr Tautz ausführt, damit zusammen, dass die bisherigen Messverfahren nicht weit genug entwickelt sind. Herr Tautz macht sich die Zeit zunutze, er verschiebt die Aufklärung in die Zukunft. Letztlich geht das Modell aber weiter. Es setzt dorthin, wo Unwissenheit herrscht, das Unbekannte. Es öffnet sozusagen ein Feld für Spekulationen. Das erinnert mich an frühe Landkarten, auf denen bislang unbekannte Gebiete zwar umgrenzt waren, deren ungefähre Form und Größe man also kannte, die im Inneren jedoch nichts enthielten. Manchmal stand als Platzhalter in solchen leeren Flächen der lateinische Spruch: hic sunt leones (hier sind Löwen). Das ist ein Hinweis auf die Gefahr, die vom Erforschen ausgeht. (Manchmal lebten in den unerforschten Arealen auch wirklich Großkatzen.) Während das Wissen dann wieder ein ungefährliches Fahrwasser ist. Ähnlich steht es vielleicht um den betreffenden Bereich in der Bienenkommunikation. Mit dem Suchraum hat Herr Tautz sowohl eine Verlockung geschaffen, als auch ein Gefahrenschild aufgestellt. Welcher Wissenschaftler möchte nicht in den bisher unentdeckten Bereich hineinschauen – und sich damit hervortun – oder scheitern?

Professor Tautz, langjähriger Leiter der bee-group an der Universität Würzburg, weltweit anerkannter Bienenforscher, wirft Karl von Frisch vor, hauptsächlich die Vorgänge im Bienenstock studiert zu haben, was gleichzeitig bedeutet, von Frisch habe zu wenig untersucht, wie sich Sammlerinnen draußen verhalten, wie dort Informationen übermittelt werden und so weiter. Herr Tautz macht dann allerdings das gleiche. Zwar fördert er unzählige neue Forschungsergebnisse zutage, die von Frisch nicht erkennen konnte, weil die Messgeräte dafür noch nicht existierten und er sich häufig auf das bloße Auge verlassen musste, lässt dann aber die Vorgänge im Feld weitestgehend außer acht. Wahrscheinlich ist die Beliebtheit des Bienenstockes als Untersuchungsort in diesem Fall seiner Immobilität geschuldet. Flöge der mit den Bienen davon, wäre man beim Studium von Biene & Blüte längst weiter. „Warum in die Ferne schweifen …“, schrieb Deutschlands Rockstar. Herr Tautz dehnte den so genannten Suchraum, mithin das Unbekannte, bis ins Äußerste, bei ihm endete er quasi einen halben Meter vor der Blüte.

In der Bildhauerei kann ein unbestimmter Raum beziehungsweise Unbestimmtheit (Indeterminacy) eine Steilvorlage sein.

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Stechen/Schlafen

Gelegentlich nehme ich Lehrbücher über Bienen zur Hand. Sie sind von der Art, wie ich sie früher verschlungen habe, um mir Grundwissen und etwas darüber hinaus anzueignen. Dort finde ich Fakten, die vor einigen Jahrzehnten galten, heute aber widerlegt sind. Kenntnisse über Bienen unterliegen der Wissenschaftsgeschichte wie alles andere auch. (Das herausragendste Beispiel sind wahrscheinlich die neuen Erkenntnisse über Bienenorientierung.) Sogar Meinungen finde ich darin oder Fakten, die auf Grundlagen hindeuten, die mich dazu veranlasst hatten, mir Meinung zu bilden, die ich heute nicht mehr vertreten kann. Eine davon ist die Frage, ob die Bienen den Imker kennen. Natürlich lernte ich, dass Bienen die Angst des Menschen, der sich ihnen nähert riechen, so wie Hunde sie wittern, und daher zum Stechen verleitet werden. Legt man also die Angst ab, wird man weniger gestochen. Das ist jedoch kein willentlicher Prozess. Bei mir ließ die Angst nicht nach, sondern wurde durch Wut und einen damit verbundenen Energieschub überlagert. Am Ende des ersten Sommers sagte ich zu ihnen: „Stecht mich, soviel ihr wollt, ist mir egal.“ Im zweiten Sommer hatten sie es sich zu Herzen genommen.

Nachdem ich jahrelang Beobachtungen bezüglich des Stechverhaltens betrieben hatte, fasste ich einen Entschluss. Ich revidierte meine Aussage, dass sie mich nicht kennen. Ich denke, das tun sie sehr wohl, denn anfangs, während der allerersten Besuche, wie ich meine, werde ich mehr gestochen. Dennoch habe ich auch dann keine Angst. Das Stechen lässt ohnehin bald nach. Ich glaube, dass sie so etwas wie ein Geruchsprofil des Menschen, der sich ihnen nähert, erstellen. Da ich regelmäßig komme und ihnen nichts Böses will, stufen sie mich als nicht-bedrohlich ein.

Außerdem ist mir bekannt, dass ein Inhalt etwa zwei Wochen lang im Gedächtnis der Biene bleibt. Im Frühjahr muss daher eine Auffrischung bei den älteren Bienen stattfinden.

Früher verneinte ich entschieden. Heute bin ich nicht mehr sicher.

© Helga R. Heilmann/​Biozentrum Uni Würzburg

Im Laufe der Jahre kamen immer wieder neugierige Besucher an den Stand, jeweils mit anderen Interessen, erhielten allerdings von mir unterschiedliche, sich wandelnde Antworten. Eine der Spekulationen ging um die zentrale Frage: Können Bienen schlafen? Ich behauptete: Sie haben nicht genug Gehirn, um schlafen zu können. Das sagte ich, bis ich zuerst zwei aneinander geschmiegte, schlafende Solitärbienen (Diadasia diminuta) am Grund einer Kugelmalvenblüte sah, dann eine ganze Schlafstatt von Honigbienen innerhalb eines Stockes.

Allerdings ist das Gehirn der Biene im Verhältnis zu ihrem Körper riesig und es gibt sich nicht müßigen Träumereien hin, vermute ich, wie das menschliche. Natürlich können Bienen schlafen.

Während der ersten Wochen, während sie also in der Dunkelheit Dienste verrichten, wandelt sich der Schlaf- und Wachrhythmus entsprechend ihrer Arbeit. Jungbienen, las ich, schlafen mehr als erwachsene Bienen. Deren Verhalten nähert sich dem Rhythmus der Tages- und Nachtzyklen an, denen die meisten Menschen unterliegen. Die Pausen, die Bienen zwischen den Arbeitsgängen einlegen, sind vergleichsweise lang, insbesondere wenn man den sprichwörtlichen Fleiß nicht auf das Ganze des Bienenvolkes bezieht, sondern auf das einzelne Individuum.

In einem Text zur Quelle des Schlafes heißt es auf der Internetseite des Bienenforschungsinstitutes in Würzburg: „Zur biologischen Funktion des Schlafes bleiben auch bei Bienen viele Fragen ungelöst. In der Wissenschaft gibt es zwar unterschiedliche Erklärungen, aber keine davon ist allgemein anerkannt. Eine Hypothese geht zum Beispiel davon aus, dass sich der Organismus im Schlaf regeneriert. Eine andere betrachtet den Schlaf als Energiesparmaßnahme, und eine dritte besagt, dass das Gehirn im Schlaf wichtige von unwichtigen Informationen trennt und das Gedächtnis sinnvoll belädt.“

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tradotto secondo google

Atelier

Gleich zu Anfang des Jahres 2020, nachdem der Katalog gedruckt war, sendete ich ein Exemplar nach Mailand zu meiner Galerie. Sie antworteten mir umgehend, dass sie gern eine weitere Ausstellung mit mir machen wollten und ebenso wollten sie den Katalog präsentieren, auch wenn alle Texte darin auf Deutsch geschrieben sind.

Viele meiner Blätter gehören unterschiedlichen Serien an. Sie entstehen mit der Zeit, langsam und manchmal als Folge des Studiums von bienenkundlichen Büchern. Manche Felder sind weiter undurchsichtig, was heißt, es ist für die Forscher weiterhin unmöglich, dort hinein zu sehen.

Bei allen Blättern ist der Fall, dass sie dem Gesetz der Synergie gehorchen, das Buckminster Fuller so genau beschrieben hat: Das Ganze ist größer als die einzelnen Teile. Vor kurzem, da sie ja für Italien gedacht sind, setzte ich einen kleinen Stempel, wie bei der Post, den kann man auf Blätter hauen. Darauf steht: tradotto secondo google. Denn man hat ja das Smartphone neben sich liegen und häufig benutze ich es, um Texte ins Italienische übersetzen zu lassen.

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