2011

finnegans bees

Atelier in Zwischennutzung

Im Jahr 2011 mietete ich von befreundeten Architekten, die beide eine Professur in Südkorea antraten, deren Raum in einem Atelierhaus. Ich hatte mich während einer Offenen Ausschreibung selbst um genau diesen Raum beworben, ihn aber nicht bekommen. Ich spürte schnell dessen unsägliche Eigenschaft, im Winter komplett auszukühlen und im Sommer aufzuheizen. Ich fühlte mich, als sei ich entweder im Eisschrank gelandet oder wie Max und Moritz im Backofen. Die Wände waren dünn und das Dach aus Aluminiumblech. Ein immenser Teil davon bestand aus vielfach unterteilten, einfach verglasten Fabrikfenstern. Dreieinhalb Flächen lagen nach außen hin, was die schnelle Angleichung an die Außentemperatur erklärt. Und zu allem Überfluss trennte nur eine dünne Wand den Raum vom benachbarten Atelier. Dort schwärmten zwei junge Maler davon, wie es sein würde, wenn sie endlich berühmt wären. Vor einer internen Ausstellung sprachen sie von einem vollständigen Ausverkauf all ihrer Bilder. Später klagten sie, dass sie kein einziges verkauft hatten. In dem Atelierhaus fanden allerlei Umtriebe statt, ein großes Fest beispielsweise, aber ich beteiligte mich an nichts.

Eine meiner ersten Handlungen dort war, zwei Punkte an gegenüber liegenden Wänden festzulegen. Da hinein bohrte ich tiefe Löcher, klopfte Dübel hintennach und drehte dicke, verschlungene Haken ein. Daran befestigte ich eine Hängematte, die ich mir eigens gekauft hatte. Kam ich also in den Raum, fiel mein Blick zuerst auf diese weißgraue Hängematte, die dort sanft und einladend hing. Daneben stapelten sich einige Bücher, eines beispielsweise über die Monroe von ihrem zeitweisen Ehemann Arthur Miller. Auf all das ging ich zu und fand mich liegend, lesend und bald schlafend, dann wieder erwachend und so weiter. Ich war dem Sog der Hängematte erlegen.

Daneben stempelte ich dann doch. Ich hatte entdeckt, dass ein fanatischer Textarbeiter im Jahr 2005 eine Suchmaschine für Finnegans Wake ins Netz gestellt hat. Nun kam mir in den Sinn, einmal nachzusehen, wie oft die Worte: Biene, Honig, Bienenhonig, Bienenstock, Bienenvolk auf Englisch darin vorkommen. Ich stieß auf einen ganzen Haufen – sicher 40 Textstellen – die genaue Anzahl habe ich nicht im Kopf. Meine Arbeit lag vor mir. Als ein Freund mich besuchte, hatte ich gerade einige gestempelte Blätter der Arbeit finnegans bees aufgehängt und er war erstaunt, wie viel ich arbeitete.

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kunstherberge birkenau

Gemeinschaftsausstellung, München

Im Jahr 2011 nahm ich an der Ausstellung kunstherberge birkenau Teil. Die Birkenau ist eine Siedlungs- und Straßenbezeichnung im Stadtbezirk Untergiesing, sagt uns Wikipedia, und weiter: „Das Gebiet zwischen Auer-Mühlbach und Isar war eine Lohe, also eine mit Birken bewachsene Wiesenlandschaft, die zwischen 1840 und 1845 bebaut wurde.“ (Wikipedia widmet dem gleichnamigen KZ einen eigenen Artikel.) Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurde die Siedlung bereits nach München eingemeindet. Noch heute finden sich dort vereinzelt nur ebenerdige Wohnhäuser aus der ursprünglichen Bebauung.

Um zwei dieser Häuser handelte es sich. Sie hielten sich gerade noch so an den Nachbarhäusern fest und mussten abgerissen werden. Nach dem Titel lautete das Thema (womöglich geschichtsblind) recht simpel Vergänglichkeit und Werden. Der Organisator arbeitet gelegentlich mit einem Architekten zusammen, und der war für die neue Bebauung zuständig. Innen waren die Häuser völlig verbaut, sie waren dunkel und muffig, die Böden bestanden teilweise aus uraltem, gammligem Teppich, die Wände waren hinter den Tapeten feucht und in den Ecken schimmlig. Mir war lange nicht klar, was dort passend war. Dann bezog ich mich auf die Bienen. Sie bilden Innenräume, indem sie dort lebendige Strukturen erschaffen.

Die Arbeit, die ich anfertigte, besteht aus einer großformatigen, aber zarten, nur mit Bleistift gezeichneten Schrift über vier Offset-Bleche hinweg. Die Aluminiumbleche hingen dort wenige Zentimeter von der Wand entfernt. Die Lettern entstammen der Schriftfamilie Stencil. Ähnliche Typen werden häufig in dunklem Grün auf den grauen Grund von Schlachtschiffen gepinselt. Die Buchstaben werden von Stegen gehalten und sind dazu gedacht, ausgeschnitten zu werden. Der auf die Bleche geschriebene Satz lautete: con ape sì vola. In einer endgültigen Hängung sollen sie den ausgewählten Satz hinter sich mit Licht auf die Wand schreiben. An der Ausstellung nahmen zahlreiche Künstler teil, die ich kenne. Sie wechselten sich im Laufe einer Reihe von Eröffnungen ab und ihre Aufgabe war, die jeweiligen Räume zu bespielen. Den Platz, an dem ich ausstellen sollte, bekam ich allerdings zugewiesen. Er lag gleich neben einer Tür. Die Besucher traten ein und drängten sofort an den Platten vorbei. Die Arbeit wirkte luftig und martialisch genug, um etwas zu bedeuten. Und obwohl sie fast vier Meter breit war, würdigte keiner sie eines Blickes. Die dünne Bleistiftschrift darauf war zwar schwach zu erkennen, aber keiner besah auch nur das Ganze. Ich zweifle nicht, dass vorwiegend ein plakatives Auftreten wahrgenommen wird. Aber die gierige Art, wie die Besucher sich vorbeischoben, gab mir zu denken. Seltsamerweise bestätigte es mich in der Ansicht, dass es falsch war, an diesem Ort weiterzugehen, als bis zu einem vorläufigen Stadium. Ich musste mich deshalb einiger Kritik erwehren. Doch es wurde meine Art, das Wort Werden aufzufassen. Die Arbeit selbst sollte unfertig sein.

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missing link

Auszüge aus einem Vortrag über Honig

Ab etwa Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurde der Ausdruck missing link geprägt und wurde kurz darauf zu einem feststehenden wissenschaftlichen Begriff. Er bezeichnet eine noch unentdeckte fossile Übergangsform zwischen entwicklungsgeschichtlichen Vor- und Nachfahren. Ihre Existenz besteht als evolutionstheoretische Hypothese und sie würde eine Lücke im Fossilbericht schließen. Von einem missing link spricht man, wenn das Verbindende, das man sucht, noch nicht gefunden ist. Der Fund hat Mosaikcharakter, er zeigt Merkmale sowohl der älteren als auch der jüngeren Form. Daher spricht man anschließend vom connecting link. Darwin und seine Vorgänger suchten nach dem Beweis, dass Mensch und Affe verwandt sind. Für eine direkte Abstammung lässt sich kein Bindeglied finden. Indessen gibt es einen gemeinsamen Vorfahren, den Menschenaffen, von dem wenige Exemplare leben. So lernten wir es in der Schule. Auch Bienen und Wespen sollen einen weit entfernten gemeinsamen Vorfahren haben. Es wird vermutet, die Bienen seien ursprünglich Fleischfresser gewesen, und sie sollen anschließend auf vegetarische Ernährung umgestiegen sein.

Zwischen den Pflanzen, den Bienen und den Menschen gibt es eine Mitte. Das gefundene Bindeglied ist der Honig. In unserem Fall ist der Stadthonig die Verbindung zwischen den Stadtbewohnern und dem städtischen grünen Raum. Honig zu essen, das wurde mir klar, vertieft das Interesse. Die Biene ist das Gelenk und der Honig die Anfütterungsspur für den Betrachter. In der Stadt weckt der Honig unter Umständen erst den zugeneigten Blick und verweist darauf, dass neben klassizistischen Häuserfassaden, den massenhaft auftretenden Autos, den Rolltreppen in eine Tiefe, aus der abgestandene Luft heraufgeschoben wird, jenes komplizierte Universum aus Flora und Fauna existiert.

Die Frage, was Natur ist, will ich dahingestellt sein lassen. Das Lexikon der Bienenkunde gibt darauf ebenfalls keine Antwort. In der Stadt München ist von einem Grünen Gürtel oder der Grünen Lunge die Rede und gemeint ist vorwiegend das Band, das den Fluss begleitet und sich im Norden ausweitet. Die Leute, die mich am Stand besuchen, sprechen unbekümmert von „Natur“ und meinen den Parallelraum, in dem Finken und Kleiber wohnen und Insekten aller Art nisten.

Die Tempelglocke schweigt

Doch ich höre den Klang noch

aus allen Blumen

Matsuo Bashō

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Freitagsbeilage

Beilage zur Süddeutschen Zeitung, jeweils am Freitag

Die Süddeutsche Zeitung bringt wöchentlich ein Thema in ihrem Magazin. Es liegt ungefähr im DIN-A4-Format als Heft der Freitagsausgabe bei. Dieses Mal sollten Menschen portraitiert werden, die zuvor einen anderen Beruf ausgeübt haben, sich nun aber zu wertvollem Essen hingezogen fühlen und es selbst herstellen. Einer der Höhepunkte, nach meinem Ermessen, sind zwei ehemalige Studenten, die Gin brauen. Einige haben in wirklich fremden Berufen gearbeitet, eine Frau ist im IT-Marketing tätig gewesen, ein Mann, der zuvor Schauspieler gewesen ist, betreibt nun ein Restaurant. Auf dem Cover ist eine Frau mit Stirntuch abgebildet, die einen Nudelwalker in der Hand hält. Bei mir liegt der Fall anders, da die Bienen mir die Einfälle liefern. Das Vorher /Nachher ist nicht gültig.

Die Ausgabe erschien am 2. Dezember 2011.

Die Fotos sollten von einem außerordentlichen und berühmten nordamerikanischen Fotografen geschossen werden. Dazu aber schickte man als Vorhut einen jungen deutschen Fotografen. Der musste für den Amerikaner das Terrain sichten und es ihm vermittels eigener Aufnahmen kenntlich machen. Ich hielt diese Vorgehensweise für Unsinn. Und schließlich kam es so: Der Starfotograf war der SZ zu teuer (oder verweigerte seine Mitarbeit) und man zog sich auf die bereits bestehenden Fotos zurück.

Das Interview, ohne das eine Zeitung nicht auskommt, führte ein Bekannter, mit dem ich vor nicht langer Zeit ausführlich telefoniert hatte.

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