2007

catch 22

Das Projekt catch 22 war zunächst auf ein anderes Material bezogen und für eine andere Ausstellung gedacht. Der Titel blieb erhalten. Im Nachhinein nahm ich den Faden noch einmal auf und formte eine Arbeit daraus, die mit Bienenhaltung zu tun hat.

B-25 sind mittelschwere Bomber, die im Zweiten Weltkrieg von den Amerikanern eingesetzt wurden. Soweit ich weiß, sind sie nicht einfach zu landen. Sie wurden wohl seltener gebaut und verwendet als die sogenannten Fliegenden Festungen, die schweren, viermotorigen B-17 Bomber. Die Spitfire, ein wendiger englischer Jäger, erlangte erst seine volle Leistungsfähigkeit, nachdem sie mit einem amerikanischen Motor bestückt worden war. Verbände von Abfangjägern dienten zur Begleitung von Bombern.

Das Buch Catch-22 von Joseph Heller, der im Zweiten Weltkrieg Bomberpilot gewesen war, erschien im Jahr 1961 in New York. Es wurde langsam erfolgreich, dank Mundpropaganda weltberühmt. Es beschreibt den widersprüchlichen Charakter kriegerischer Handlungen und der darin verwickelten Personen. Der Verrückteste aller Beteiligten im Buch beispielsweise kommt schließlich als einziger frei, indem er sein Flugzeug im Mittelmeer notwassert und in einem Schlauchboot nach Schweden desertiert.

Im Deutschen lässt sich dieser grundlegende Widerspruch nicht durch ein geflügeltes Wort ausdrücken, weshalb man ihn zunächst beinahe hilflos als IKS-Haken übersetzte. Im Wörterbuch werden die allgemeinsten Bedeutungen aufgelistet. Dazu gehört der Fang und als Verb fangen. Ein eye-catcher lenkt die Blicke auf sich. Obwohl die Liste lang ist, erscheint der figurative Haken an vierter Stelle. Der Erfolg des Romans führte dazu, dass der Begriff zur Bezeichnung widersprüchlicher oder absurder Situationen in die englische Sprache übernommen wurde. Catch 22 wird inzwischen als Zwickmühle übersetzt. Das gesamte Buch ist daraufhin ausgelegt wie auf einen Wirbelsturm. (Dem Buch folgte im Jahr 1970 eine Verfilmung mit Orson Welles.)

Memphis Belle

Das Thema machte ich mir mithilfe von Blättern über B-17 Bomber zugänglich. Ich baute ein Modell, das mit nur einer Gussform auskommt und dennoch kenntlich bleibt. Doch ich verwendete es nicht. Es blieb seitlich auf der Arbeitsplatte im Atelier liegen. Sobald ich es ansehe, gehe ich wie im Reflex alle gießbaren Materialien durch, komme aber auf kein Ergebnis. Stattdessen fällt mir Heribert Sturm ein, unser Professor an der Akademie. Er hatte mich vor fast zwei Jahrzehnten eines Tages, nach einer Klassenbesprechung zur Seite genommen, mir auf die Schulter geklopft und gesagt: „Wir scheitern, aber auf hohem Niveau.“

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sagoma

Ausstellung in der Galerie Werkschau, München

Es gab eine Reihe von Hindernissen, die zu der Ausstellung sagoma führten. Eines davon, nicht unbedeutend, war, dass mir eine der beiden Hummeln fehlte, die ich, auf einen Silberbarren gelegt, zeigen wollte. Es ist gar nicht so leicht, jemanden zu finden, der eine Hummel zu bieten hat. Mein Freund Uli Panick beispielsweise sagte sinngemäß: Das Bild mit der toten Hummel auf dem Fensterbrett steht mir klar vor Augen. Aber jedesmal, wenn ich hinschaue, ist sie nicht da.

Später lernte ich eine argentinische Goldschmiedin kennen, die in einem Restaurant aushalf. Sie sammelte Insekten und wollte ihre Hummeln mit mir tauschen. Gegen Honig. Also brachte ich einige Gläser Honig in das Restaurant und sie stellte mir in einer Plastikfilmdose Hummeln auf den Tresen. Wir unterhielten uns eine Weile, dann musste sie wieder in die Küche.

Neben mir am Tresen thronte eine dunkel gekleidete Frau mit starkem, schwarzem Haar, verlebtem Gesicht und einer kostbaren Tasche, die sie auf den Knien balancierte. Sie gab sich als Italienerin. Der Wirt stammt aus Italien und ferner der Koch. Der kam aus der Küche gewetzt, ließ sich einen Espresso aus der Maschine und schimpfte, weil jemand den Löffel in der Milchkanne vergessen hatte. Dann sprintete er zurück. „In Italien ein schwerer Fehler“, äußerte die Frau und deutete auf den Löffel. Sie sah nicht unbedingt sympathisch aus, aber ich dachte, vielleicht ließen sich Informationen, die ich noch brauchte, über das Wort sagoma einholen. Überraschend war, dass sie kaum eine Bedeutung direkt bestätigte, die ich im Lexikon gefunden hatte. Stattdessen berichtete sie, dass das Wort für einen toten Körper verwendet werde. Zur Unterstützung wiederholte sie mehrmals eine waagrechte Handbewegung. Ich dachte an die leibliche Hülle eines Gestorbenen.

Im Lexikon ist sagoma übersetzt mit

1. Gestalt, Profil, Form, Kontur und Umriss

2. (Zeichen-)Schablone

3. Zielscheibe

4. in figurativer Bedeutung: komischer Kauz, Komiker

Beim Googeln des Wortes sagoma wird man von einer weiteren Fülle an unerwarteter Information überrascht. Zum Beispiel finden sich die Seiten von Konzernen wie Sagoma-Industries, deren Gebiet mir schleierhaft geblieben ist. Es gibt diese und jene schrullige Seite, viele auf Italienisch, und schließlich blättert sich nach und nach der hitzige Diskurs über einen Vorfall auf, der den verstorbenen Papst betrifft. Am 2. April des Jahres 2007 fand in Beskid Zywiecki, das in der Nähe des Geburtsortes von Karol Woytyla liegt, eine religiöse Feier statt, und man muss gleich erfahren, dass es sich um den Todestag von Johannes Paul II handelt. Eine Gruppe von Gläubigen stand im Freien, wahrscheinlich wurde gesungen, eine Menge Menschen war anwesend und es wurde ein in der Folge hoch loderndes Feuer angezündet. Die Flammen züngelten mehrere Meter empor und ein polnischer Arbeiter fotografierte nebenbei mit seiner Digitalkamera, nichts Ungewöhnliches bis dahin. Dann durchstreifte die Uhrzeit den exakten Todeszeitpunkt des Pontifex und die Flammen verwandelten sich für einen Augenblick in einen großen, geisterhaften Schemen. Und man kann sagen: In diesem Augenblick begannen die Probleme. Denn die einen deuteten die Flammenform sofort als Figur, in der der verstorbene Papst ihnen erschienen war. Folglich: ein Wunder. Es war höchste Zeit, den Mann heilig zu sprechen. (Die Seligsprechung wäre ein Umweg, eine Zeitvergeudung durch bislang gebotenes kirchliches Abwarten. Hier sollten aber Nägel mit Köpfen gemacht werden.)

Die Flammenerscheinung, die auf einem Foto zu sehen ist, wird im Italienischen als sagoma bezeichnet. Der Corriere della Sera übrigens druckte das Bild wenige Tage später ab, was vielen als Bestätigung galt. Der Vatikan allerdings zauderte, und ich kann mir vorstellen, dass den hohen kirchlichen Herren eine Erscheinung wie diese alles andere als angenehm war. Zusätzlich kam ein Haufen unliebsame Arbeit auf sie zu. Es musste beispielsweise die Echtheit der Aufnahme geprüft werden, was im Zeitalter der digitalen Bildmanipulation äußerst schwierig ist. Ferner musste geklärt werden, ob die Erscheinung wirklich als päpstlicher Auftritt zu deuten ist. Hier meldeten sich sarkastische Stimmen aus der italienischen Bloggerszene. Einer witzelte, die Flamme sei wohl die Folge eines Ozonlochs über Polen. Ein anderer antwortete, die Flamme sehe eher aus wie Obi Wan Kenobi, und man solle lieber den heilig sprechen. Das ist ein Witz, über den man mitten in der Nacht, wenn man plötzlich aufwacht, noch lachen kann. Denn Obi Wan Kenobi aus dem Filmmonument Star-Wars erteilt aus dem Jedi-Ritter-Jenseits als halbdurchsichtiger Schemen dem jungen Luke Skywalker entsetzlich weise Ratschläge. Auf einer weiteren Seite wird die tausendmal gesehene Tanzpose von John Travolta aus Saturday-Night-Fever in die Flamme hineininterpretiert. Auch das passt wie ein Maßanzug. Viele sehen in dem verstorbenen Papst sowieso einen Popstar.

Auf der Originalseite, in der es um die Flammenerscheinung geht, sind die aufgeregten Beteiligten zu sehen, zuvorderst natürlich der Arbeiter, und wie er seine Kamera, auf der wiederum das Feuerfoto abgebildet ist, ins Bild hält. Dazu der Bürgermeister, der Priester, allerlei wichtige Gäste und stolze Honoratioren.

Für das Verfahren der künstlerischen Aneignung, das auch in Bezug auf sagoma gültig ist, hat Manfred Ellenrieder vor einigen Jahren den Begriff Originalkopie geprägt. Er bezeichnet damit sowohl die Auswahl als auch die Umwandlung von vorgefundenem Material. Man balanciere dabei auf einem Grat, sagt er sinngemäß: links die Fremdheit des Materials, rechts das Verhängnis der Autorenschaft.

Die Arbeit mit der toten Hummel auf dem Silberbarren, das Kernstück der Ausstellung, war unverkäuflich. Doch zwischen einem Freund und mir entspann sich ein verwickeltes Gespräch, als wir auf den imaginären Preis zu sprechen kamen, den ein Künstler dafür verlangen müsste, sofern man vom gegenwärtigen Silberpreis ausgeht und die Galerie die Hälfte beansprucht. Das Ganze kam mir vor wie ein Gordischer Knoten.

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Girasole

Edition bei Pulcinoelefante, Osnago bei Mailand, mit Stefano Soddu

Nach der Ausstellung in Mailand, die mich wegen der langen Vorbereitungszeit erschöpft hatte, fuhr ich eine Weile nicht nach Italien. Bis dahin hatte ich gelegentlich telefoniert, aber mich nicht aufraffen können. Stefano Soddu und ich hatten ausgemacht, zum Herausgeber und Drucker der Edition Pulcinoelefante zu fahren. Dessen Werkstatt liegt 30 Kilometer von Mailand entfernt auf dem Land. Wie ich feststellte, benutzt er ein leicht chamoisfarbenes, sicher 300 Gramm starkes Bütten mit gerissenen Rändern. Es ist industriell hergestellt und stammt aus der deutschen Papierfabrik Hahnemühle. In jedes Blatt ist ein Hahn (den ich jedoch nicht entdecken konnte) als Wasserzeichen eingelassen. (Im Internet erfährt man, dass die Hahnemühle während des Zweiten Weltkriegs vom Reichssicherheitshauptamt angewiesen wurde, das Britische Pfund zu fälschen.) Die Edition Pulcinoelefante, zu der Stefano mit mir fahren wollte, besteht seit dem Jahr 1982. (Pulcino heißt Küken.) Dort gehe alles sehr gemächlich zu, betonte er. Die Anzahl der jährlich produzierten Hefte ist jedoch enorm. Bis zum Februar 2014 waren über 9.000 Hefte gedruckt worden. Selten werden mehr als 30 Kopien hergestellt. Sie bestehen aus Blättern im Format 19,5 Zentimeter mal 27 Zentimeter, die gefaltet und vermittels Fadenheftung gebunden sind. Hier ist eine durch vier teilbare Anzahl von Seiten erforderlich. Stefano und ich ließen die Hälfte der Seiten unseres Heftes leer.

Einige fertige Exemplare wandern sofort zu Sammlern und in öffentliche Bibliotheken.

Damals bekam ich die leeren Seiten geschickt und sollte dafür eine kleine Papierarbeit herstellen. Ich verwendete das gleiche Papier wie in der Ausstellung und schnitt es zu. Es ist 13 Zentimeter lang und 8 Zentimeter breit. Diese noch ungenaue Proportion taucht anfangs der Fibonacci-Reihe auf, die ich während der Ausstellung bemüht hatte. Ich stach mit einer Stecknadel eine Schablone aus dünnem Aluminiumblech. Dabei imitierte ich die gedrehte Anordnung der Samen einer Sonnenblume. Sie wird explizit als Pflanze genannt, die in ihrem Aufbau, ähnlich wie bestimmte Muscheln, den Goldenen Schnitt benutzt. Danach legte ich die gesammelten, zugeschnittenen Blätter darunter und stach mit einer weiteren Stecknadel, deren Spitze ich angefeilt hatte, durch die vorgegebenen Löcher. Wie auf der Abbildung zu sehen ist, kam ein rundes, gedrehtes Muster zustande, das etwa sechs Zentimeter im Durchmesser besitzt, und da die Blätter von hinten nach vorne durchstochen sind, kann man mit dem Finger eine raue Oberfläche fühlen. Auf die Rückseite jedes einzelnen Blattes schrieb ich mit roter Stempelschrift: Girasole.

Ich klebte sie, wie Stefano mich angewiesen hatte, an ihrem oberen Rand mittig auf die Seite fünf der Edition. Daher trägt das Ganze den Namen Girasole. Stefano schrieb ein gespiegeltes Lautgedicht. Es wurde auf Bütten gedruckt und ebenfalls eingeklebt.

Nachdem die Edition fertiggestellt war, bekam ich neun Stück davon zurückgeschickt. Ich halte sie für außerordentlich kostbar. Wenn ich im Gesamtkatalog die Namen der berühmten Künstler betrachte, die dort Arbeiten gestaltet haben, wird mir ganz flau.

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