Autor: Christoph

Rückinfektion

In der Stadt, wenn nur einer die Milbenbehandlung schlampig ausführt oder gar wegen Unsinn im Kopf unterlässt, besteht die Möglichkeit, dass die Milben aus seinen Stöcken in die der ernsthaften Imker eingetragen werden. Man nennt es Reinvasion, wenn sie zuhauf eindringen, entweder durch das erwähnte Verfliegen, wenn also die fremden Bienen Honig mitbringen und sich einbetteln, oder durch Räuberei, wie sie im Spätsommer manchmal geschieht, wenn stärkere über schwächere Völker herfallen und man die Fluglöcher nicht aufs Minimale verengt hat. Und sofort hat man die Milbenseuche und Viren wieder im Stock. Nur wenn man ihnen bereits Mitte Juli zum ersten mal gründlich das Wasser abgräbt, hat man eine Möglichkeit, ihrer in der Folge Herr zu werden. Als ich anfing, Bienen zu halten, richtete Franz einen Großteil seiner Instruktionen sofort auf die Notwendigkeit, gegen die Milbe zu behandeln.

Categories: 2016

Bucky

Recherche über Buckminster Fuller 2020

Es begann mit ein paar Texten, die ich beinahe aus Langeweile, weil gerade nicht allzu viel im Atelier zu tun war, dort las. Es ging um Buckminster Fuller. Das Buch, in dem ich las, war schwer zu bekommen, es heißt „Your Private Sky“. Neuerdings werden wieder ein paar Exemplare davon auf ZVAB angeboten. Aber vor etwa zwanzig Jahren sah es damit schlecht aus. Damals telefonierte ich endlos herum und fand schließlich ein neues Exemplar in einer Schweizer Museumsbuchhandlung. (Ich schenkte es dem Vater zum Geburtstag, da ich es für etwas Besonderes hielt. Als er dann gestorben war, entdeckte ich es in seinem Regal und es war so gut wie ungelesen.) YPS ist voller Abbildungen und nach kurzer Zeit war ich von den geodätischen Kuppeln, die den meisten, wenn sie an Fuller denken, als erste einfallen, reichlich angeödet. In dem Begleitbuch „Diskurs“ geht es dann um theoretische Texte, die gelegentlich so blutarm sind, dass ich das Buch schweigend weglegte. Erst nach und nach wurde daraus eine Recherche.

Von seinen Freunden wurde Fuller offenbar liebevoll Bucky genannt. Cage gehörte dazu. Wahrscheinlich hat sogar diese Affinität mich bewogen. Es gibt ein Foto, auf dem Cage links abgebildet ist, rechts der hoch aufgeschossene Merce Cunningham und mittig halten sie den kleinen Bucky. Alle drei lachen. Cage lachte ohnehin gerne, das sieht man seinem Gesicht an. Cunningham lacht wie ein Lausbub. Und Bucky. Es kommt mir fast so vor, als wüsste er gar nicht so recht, ob lachen angebracht ist.

Nachdem ich hartnäckig geblieben war, fand ich den Einstieg zu Fuller und begann voranzukommen, indem ich einfach alles ausließ, was mir zu trocken schien (also sehr sehr viel). Es wurde eine Recherche daraus, die nun bereits bis ins neue Jahr anhält. Ich unterstreiche Texte in Büchern und tippe sie auf Karteikarten und stecke sie in einen der hölzernen Kästen, die ich vor ein paar Jahren aus anderem Anlass, aber auch für Karteikarten (DIN A6), gebaut habe.

Später integrierte ich die Arbeit in eine zweite, die „Das kleinste Element“ heißt. Die neue ist vom Aufbau her unbegrenzt.

Buckminster Fuller am Black Mountain College, 1948, (links Josef Albers)

© Beaumont & Nancy Newhall Estate

Das Konzept Einsteins ist, dass das Universum ein Szenario ist und keine einzelne simultane Struktur

Vier Ereignisse sind nötig, um ein System zu formen

Categories: 2020

Stechen/Schlafen

Gelegentlich nehme ich Lehrbücher über Bienen zur Hand. Sie sind von der Art, wie ich sie früher verschlungen habe, um mir Grundwissen und etwas darüber hinaus anzueignen. Dort finde ich Fakten, die vor einigen Jahrzehnten galten, heute aber widerlegt sind. Kenntnisse über Bienen unterliegen der Wissenschaftsgeschichte wie alles andere auch. (Das herausragendste Beispiel sind wahrscheinlich die neuen Erkenntnisse über Bienenorientierung.) Sogar Meinungen finde ich darin oder Fakten, die auf Grundlagen hindeuten, die mich dazu veranlasst hatten, mir Meinung zu bilden, die ich heute nicht mehr vertreten kann. Eine davon ist die Frage, ob die Bienen den Imker kennen. Natürlich lernte ich, dass Bienen die Angst des Menschen, der sich ihnen nähert riechen, so wie Hunde sie wittern, und daher zum Stechen verleitet werden. Legt man also die Angst ab, wird man weniger gestochen. Das ist jedoch kein willentlicher Prozess. Bei mir ließ die Angst nicht nach, sondern wurde durch Wut und einen damit verbundenen Energieschub überlagert. Am Ende des ersten Sommers sagte ich zu ihnen: „Stecht mich, soviel ihr wollt, ist mir egal.“ Im zweiten Sommer hatten sie es sich zu Herzen genommen.

Nachdem ich jahrelang Beobachtungen bezüglich des Stechverhaltens betrieben hatte, fasste ich einen Entschluss. Ich revidierte meine Aussage, dass sie mich nicht kennen. Ich denke, das tun sie sehr wohl, denn anfangs, während der allerersten Besuche, wie ich meine, werde ich mehr gestochen. Dennoch habe ich auch dann keine Angst. Das Stechen lässt ohnehin bald nach. Ich glaube, dass sie so etwas wie ein Geruchsprofil des Menschen, der sich ihnen nähert, erstellen. Da ich regelmäßig komme und ihnen nichts Böses will, stufen sie mich als nicht-bedrohlich ein.

Außerdem ist mir bekannt, dass ein Inhalt etwa zwei Wochen lang im Gedächtnis der Biene bleibt. Im Frühjahr muss daher eine Auffrischung bei den älteren Bienen stattfinden.

Früher verneinte ich entschieden. Heute bin ich nicht mehr sicher.

© Helga R. Heilmann/​Biozentrum Uni Würzburg

Im Laufe der Jahre kamen immer wieder neugierige Besucher an den Stand, jeweils mit anderen Interessen, erhielten allerdings von mir unterschiedliche, sich wandelnde Antworten. Eine der Spekulationen ging um die zentrale Frage: Können Bienen schlafen? Ich behauptete: Sie haben nicht genug Gehirn, um schlafen zu können. Das sagte ich, bis ich zuerst zwei aneinander geschmiegte, schlafende Solitärbienen (Diadasia diminuta) am Grund einer Kugelmalvenblüte sah, dann eine ganze Schlafstatt von Honigbienen innerhalb eines Stockes.

Allerdings ist das Gehirn der Biene im Verhältnis zu ihrem Körper riesig und es gibt sich nicht müßigen Träumereien hin, vermute ich, wie das menschliche. Natürlich können Bienen schlafen.

Während der ersten Wochen, während sie also in der Dunkelheit Dienste verrichten, wandelt sich der Schlaf- und Wachrhythmus entsprechend ihrer Arbeit. Jungbienen, las ich, schlafen mehr als erwachsene Bienen. Deren Verhalten nähert sich dem Rhythmus der Tages- und Nachtzyklen an, denen die meisten Menschen unterliegen. Die Pausen, die Bienen zwischen den Arbeitsgängen einlegen, sind vergleichsweise lang, insbesondere wenn man den sprichwörtlichen Fleiß nicht auf das Ganze des Bienenvolkes bezieht, sondern auf das einzelne Individuum.

In einem Text zur Quelle des Schlafes heißt es auf der Internetseite des Bienenforschungsinstitutes in Würzburg: „Zur biologischen Funktion des Schlafes bleiben auch bei Bienen viele Fragen ungelöst. In der Wissenschaft gibt es zwar unterschiedliche Erklärungen, aber keine davon ist allgemein anerkannt. Eine Hypothese geht zum Beispiel davon aus, dass sich der Organismus im Schlaf regeneriert. Eine andere betrachtet den Schlaf als Energiesparmaßnahme, und eine dritte besagt, dass das Gehirn im Schlaf wichtige von unwichtigen Informationen trennt und das Gedächtnis sinnvoll belädt.“

Categories: 2022

Die Quadratur des Kreises

Arbeit im Rahmen der Ausstellung „Wurzelspitzen“ in der Gärtnerei Deml in Seeshaupt

Die meisten wissen, dass es Jahrhunderte lang ein populäres Problem in der Geometrie war, einen Kreis mithilfe von Lineal und Zirkel in ein Quadrat zu überführen – und umgekehrt. (Erst später wurde bewiesen, dass es tatsächlich unmöglich ist, die eine Grundform in die andere zu transformieren.) Allerdings mussten sich so viele Mathematiker bis dahin mit dem Misslingen abfinden, dass die Quadratur des Kreises zum Synonym für ein unmögliches Vorhaben geworden ist.

Die eigentliche Überraschung bei der Arbeit war für mich, dass ich mich sowohl im Vorfeld als auch zwischendrin mit Michael beraten konnte und immer wieder feststellte, dass wir einen so ähnlichen plastischen Ansatz vertreten, als wäre der eine in der Lage, die Sätze des anderen zu Ende zu sprechen.

Die Arbeit wechselte mehrfach die Gestalt. Vor allem mit dem Bild für das, was mit dem ehemaligen Pflanzkasten final geschehen sollte, gelangte ich ständig zu neuen Schritten. Sie bestanden letztlich immer darin, dass ich einen weiteren Faktor wegstrich, bis ich am Ende zur einfachst möglichen Art kam, mit dem Material umzugehen.

Jeder dieser Schritte fiel mir ein, während ich auf die Schaufel gelehnt in der Grube stand und darüber nachdachte, was ich da tat und wie ich es noch weiter auf die ursprüngliche Wurzel zurückführen konnte. Schließlich entfernte ich sogar die persönliche Handschrift. Im Grunde hatte ich während der vergangenen Jahre selten so gearbeitet, sondern mir zunächst im Denken eine grundsätzliche Vorgehensweise zurechtgelegt und sie dort so lange überarbeitet, bis etwas wie ein stimmiger Rahmen stand. Dann konnte ich mich ganz auf die Ausführung konzentrieren. Die spielerische Arbeit hier könnte man, ginge es um Sprache, als „allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ bezeichnen. So hat Kleist es um das Jahr 1805 in einem Aufsatz genannt.

Ausdrücklich danken möchte ich den beiden, die mir beim Arbeiten geholfen haben: Adrian, Michaels Sohn, der über Stunden hinweg mit unglaublicher Konzentration einen kleinen Bagger bediente und Thomas, ein Helfer, der den Aushub in Schubkarren vom Becken zum Berg hinüber karrte, was eine Wahnsinnsplackerei war.

Später wurde ich von einer Bildhauerin einer jüngeren Generation gefragt, welche der beiden Grundformen ich bevorzuge. Denn für sie sei der Berg attraktiver. Für mich kann ich nur so sprechen: Das Eine und das Andere gehören auf eine Weise zusammen, dass das Eine ohne das Andere nicht möglich wäre. Sie sind Elemente einer Skulptur, die aus zwei Teilen bestehen muss, denn nur dadurch wird der skulpturale Vorgang begreiflich.

© Michael von Brentano

Categories: 2021

Halt auf offener Strecke

Arbeit im Rahmen der Ausstellung „Wurzelspitzen“ in der Gärtnerei Deml, Seeshaupt

Das Bienenwachs bringen die Baubienen selbst hervor. Es wird von Drüsen, die beidseits an der Unterseite des Hinterleibs sitzen, ausgeschwitzt. Zur genaueren anatomischen Vorstellung: Die Drüsen sitzen an jenen Stellen, an denen die Hinterleibssegmente zusammenstoßen, und das Wachs wird in winzigen Schüppchen ausgeschieden. Daher ist Bienenwachs, anders als Honig, der aus fermentiertem Nektar besteht, ein reines Bienenprodukt. Das heilkräftige Propolis ist mit Bienenwachs angereichertes Baumharz. Die Bienen nehmen das Wachs mit den Hinterbeinen auf und reichen es mit ihren Füßen Richtung Kopf. Dort landet es schließlich bei den Kiefermuskeln, wo es zu Kügelchen modelliert wird. Bienen bauen daraus ihre Zellen. Überhaupt beziehen sie von allen Orten, an denen es gerade nicht gebraucht wird, ihr Baumaterial. Sie sind Bildhauer. Ohne Frage. Und die Zellen sind sehr viel komplizierter konstruiert, als einfach nur gerade sechseckige Gefäße. Bei einer Deutsch-Normal-Wabe, die der Form, die ich verwende, ähnlich ist, tragen 40 Gramm Wachs zwei Kilo Honig. Knetet man es eine Weile zwischen den Händen, kann man ebenfalls damit modellieren. Bienenwachs schmilzt etwa bei 60°C, wird jedoch bereits ab 30° C knetbar.

Anfangs enthält es in der Regel mehr oder weniger Schmutzpartikel, Bienenbeine oder die winzigen Häutchen, die die Brut beim Schlüpfen in der Zelle zurücklässt. Gelegentlich erscheint es grau oder grün, manchmal fast braun, dann wieder so, wie man es sich kindhaft vorstellt, nämlich sonnenblumengelb, und weiter bis hin zu weiß. Sammelt man beispielsweise das Wachs, mit dem Bienen die mit Honig gefüllten Zellen verdeckeln, so wird das sehr hell sein. Nach dem Aufschmelzen im Wasserbad sammeln sich beim Abkühlen und Aushärten zahlreiche Schmutzpartikel an der Unterseite eines Wachsblockes. Man kann sie abkratzen und das Wachs wird dadurch bei jedem Durchgang heller.

Jene beidseits mit einem Sechseckmuster geprägten Blätter aus Bienenwachs, aus denen ich als Kind Kerzen für die Großmütter rollen musste, werden den Bienen als Bauvorgabe in den Stock gehängt. Man erreicht dadurch, dass Waben entstehen, die für den Menschen leicht zu handhaben sind. Anders als behauptet, nehmen die Bienen diese Vorgabe ohne Widerwort an. Ich halte es für unsinnig, davon zu sprechen, dass man den Bienen damit etwas antut, ihnen quasi das eigene Bedürfnis überstülpt und insofern nicht „wesensgemäß“ verfährt. Denn das Besondere an den Bienen ist, dass sie sich nicht zwingen lassen. Beispielsweise wird man vergeblich versuchen, zwei Königinnen in einem Volk zu halten. Bienen haben ein System, das sich nicht beugen lässt. Anderes lehnen sie aber keineswegs ab. Und insbesondere, wenn es dem Menschen die Pflege und die Behandlung gegen Krankheiten erleichtert, spricht nichts dagegen, dass er die eigenen Vorgaben in die Organisation des Stockes mit einbringt.

Es lag mir eine Weile ungut im Magen, dass ich nicht wusste, wo ich mit dieser Plastik stehe, es im Grunde noch immer nicht weiß, aber über mein Unwissen mittlerweile wenigstens im Bilde bin. Die genaue Verortung auf einer Linie zwischen gelagertem Material und fertiger Plastik ist mir bei dieser Arbeit abhanden gekommen. Vielleicht macht sie das reizvoll. Es hängt mit zahlreichen Parametern zusammen, beispielsweise mit dem Einschmelzen und dem Umschmelzen, dem fertig Ausgeführten, das sich nicht weiter entwickeln lässt, in Verbindung mit einem mutmaßlichen Rohzustand, der von dort aus, in Verlängerung gedacht, in einen weiteren Endzustand münden soll. Mir ging auf, dass selbst ein gegossener Klotz, der eines Tages als Grundlage für Weiteres dienen kann, nichtsdestoweniger eine Plastik ist. Nach meinem Verständnis ist auch ein Barren aus Gusseisen eine Plastik. Und einmal goss ich Blei in eine Kuchenform.

Was ich im Laufe der vergangenen Jahre gesammelt habe, liegt hier zu einer Miete gestapelt. Dieser spezielle Raum, einer Vitrine gleich, mit diesem grauen Boden aus gegossenen Formsteinen, ist mir für ein Jahr zum Zweck der Präsentation überlassen worden. Und eines Tages – hoffentlich – wird sich eine neue Idee der Masse bemächtigen.

Unser Professor an der Akademie, der nie viel sagte, nannte das Umschmelzen Transsubstantiation, was ein Wort aus dem Ulysses von James Joyce ist. Und ich war mir sicher, dass er wusste, dass ich das wusste. Im neunten Kapitel des Buches, das in der irischen Nationalbibliothek spielt, wird behauptet, dass Hamlet der verstorbene Sohn Shakespeares sei. Im Übrigen sei er mit seinem Vater konsubstantiell. Was man als ernsthaftes, hochgelehrtes Geblödel bezeichnen kann. Allerdings ließ es mich nicht deshalb aufhorchen, sondern weil ich den Vorgang des Umschmelzens bis dahin als Transformation aufgefasst hatte. Unser Professor zog schalkhaft die Augenbrauen in die Höhe, als habe er etwas außerordentlich Bedeutendes ausgesprochen. Er schien das Ganze genau so aufzufassen, wie es gemeint war: als groß angelegten Witz von tiefem Ernst, als sähe er die Kunst als durchtriebenes Amüsement von erheblicher Tragweite.

Categories: 2021

Aus dem Nachlass

Ausstellung im Kunstverein Bayreuth

Man kann Bienen auch in einem Gummistiefel halten.

Franz Wagner wurde im Jahr 1927 geboren, er war Rumäniendeutscher und lebte im Banat. Er kämpfte nicht im Krieg, wurde bei Kriegsende aber von der russischen Armee gefangen genommen, in ein Lager deportiert und gefoltert. Später, als er ins Banat zurück gekehrt war, erlitt er einen epileptischen Anfall, man steckte ihn in die Psychiatrie und verordnete ein viel zu starkes, heute kaum mehr gebräuchliches Medikament. Er hatte lebenslang Angst, geschlagen zu werden. Im Banat heiratete er, bekam einen Sohn und wurde Meister einer Eisengießerei in Temeswar. Er hielt mit seinem Schwiegervater 400 Bienenvölker im Nebenberuf. Mit seiner zweiten Frau, dem zweiten Sohn und der Tochter emigrierte er während der Siebziger Jahre, zu Zeiten des Diktators Ceaușescu, nach Deutschland. Sie durften keine Dokumente mitnehmen, dafür Hausrat, und Franz, der ein Bastler war, schaffte es, sie in einem Nudelwalker zu verstecken. Dadurch war ihnen hier eine Rente sicher. In München angekommen arbeitete er als Hausmeister in der Akademie der Bildenden Künste. Dort lernte ich ihn kennen. Er stellte mir im Jahr 1992 die ersten drei Völker in den Akademiegarten. Ebenso wie er mir sein Wissen weitergab, übertrug ich meines später an eine junge Frau, eine Ärztin, die ich seit Jahren kannte. Und ebenso, wie ich mich nach geraumer Zeit von Franz löste, nahm sie mir eines Tages das Werkzeug aus der Hand und sagte: „Ich will jetzt meine eigenen Fehler machen.“

Franz´ hoch umzäunter Bienenstand lag im Schweizerholz, einem Wäldchen nördlich des Autobahnrings, nahe der Schleißheimer Flugwerft. Dort hielt er um die 30 Völker. Franz setzte ursprünglich selbst gebaute, dann auch gekaufte Kästen ein. Er pinselte jede freie Fläche, sei es im Hobbykeller, auf dem Balkon, als auch im Bienenhaus (und so auch die Bienenkästen) mit stumpfer Abtönfarbe an, was ich für sein Markenzeichen hielt. Da sie aus unterschiedlichen Systemen bestanden, konnten die gekauften Zargen mit den von ihm gebauten nicht getauscht werden. Die selbst geschreinerten Kästen standen im Haus, da sie vom Regen aufquollen, und die anderen im Freien. Anfang des Jahres 2002 bezog er ein neues Bienenhaus in Sendling. Ich hatte anfangs geholfen, zu renovieren. Aber er benutzte Asbestwolle zur Dämmung, spannte Plastikfolie auf alle Flächen, klebte PVC als Fußboden und schraubte gewellte Asbestplatten aufs Dach. Ich hatte erfolglos versucht, ihn davon abzubringen, und schließlich war ich weg geblieben. Mit dem neuen Bienenhaus stellte er auf einheitliche Beuten um und da ein Freistand nicht möglich war, transferierte er die gekauften Kästen nach innen. Jede Zarge war nun mit jeder anderen kombinierbar. Das bildete eine erhebliche Erleichterung für ihn. Allerdings zerschlug er die älteren Bienenkästen, die er selbst gebaut hatte, und warf sie in den Container.

Das Anzuchtkästchen mit fünf Waben und dann nochmal fünf darüber ist für kleine Völker bestimmt. Man sagt, sie entwickeln sich in der räumlichen Beschränkung besser. Danach werden sie in einen großen Kasten umgesetzt.

Franz starb im Jahr 2004 an Leukämie.

What thou lov´st well is thy true heritage

Pound Canto 81

Ezra Pound wurde 1885 in Idaho geboren. Er ging als junger Mann nach Europa, lebte abwechselnd in England, Frankreich und schließlich in Italien. Da er früh berühmt geworden war, besaß er etwas Geld und unterstützte Künstler, die noch nicht so weit waren. So verhalf er beispielsweise James Joyce zur Erstveröffentlichung des Ulysses. Pound übersetzte als erster Texte von Konfuzius aus dem traditionellen Chinesisch ins Englische. Er kommentierte das japanische Nō-Theater, eine uralte, rituelle Form des Schauspiels, mithilfe der Aufzeichnungen von Ernest Fennelosa. Er verfasste eine Unmenge Literatur, aber sein Lebenswerk sind die Cantos. Von ihnen schrieb er 120 Stück, doch er betrachtete diesen Block immer als unvollendet, wenngleich ein Projekt dieser Art, ursprünglich auf 40 Jahre ausgelegt, immer unvollendet bleiben muss. Pound unterhielt Freundschaften zu allen wichtigen Schriftstellern seiner Zeit und zu zahlreichen Bildhauern und Malern und Musikern. Pound war Faschist und Anhänger Mussolinis. Während des zweiten Weltkrieges wohnte er in Italien. Er verbreitete über Radio Rom, publizistisch und in seinen Cantos antiamerikanische, rassistische und antisemitische Propagandareden, deren Gegenstand der Zinswucher und die jüdische Beteiligung daran waren.

Mitte des Jahres 1943 wurde vom amerikanischen Kriegsministerium gegen ihn Anklage wegen Hochverrats erhoben. Am Ende des Krieges war Pound sechzig Jahre alt und stellte sich freiwillig. Er glaubte, er könne Beamte vom FBI darüber belehren, wie ein praktikables Finanzsystem auszusehen habe. Er wurde daraufhin zusammen mit Schwerverbrechern ein halbes Jahr in einem Hochsicherheitsgefängnis bei Pisa gehalten. Das Gefängnis bestand aus einer Reihe von Hundezwinger-artigen Käfigen, 1,8 Meter mal 3 Meter, was heißt jeweils einer Betonplatte als Unterlage, einem Drahtkäfig als Seitenwänden und einem Holzdach mit Teerpappe. Dazu kam eine einfache Wolldecke. Man findet diese Form heute in Guantanamo. Pound wurde, nachdem ein psychischer Zusammenbruch diagnostiziert worden war, ins Sanitätszelt verlegt und schrieb auf einer Militärschreibmaschine die Pisaner Cantos. Wie ich es mir denke, war er in viele einzelne Personen aufgesplittert und jede davon schrieb sozusagen ihren Teil. Ich habe überlegt, wie es möglich ist, dass man sie als derart inkohärent empfindet, dass jeweils nur ein paar Zeilen zusammengehören, Gras, das unter den Rändern des Zeltes hervor wächst, Konfuzius, Luchse, die nachts durchs Lager schleichen, griechische Götter und beispielsweise neben scharfsinnigen Beobachtungen niedrigste Gesinnung zum Ausdruck kommt, und womöglich macht gerade das sie so bedeutend. Das halbe Jahr barbarischer Gefangenschaft verursachte in Pound einen fast vollständigen und irreparablen psychischen Schaden.

Ende Oktober 1945 wurde er nach Amerika deportiert, für unzurechnungsfähig erklärt und bis ins Jahr 1958 in die Psychiatrie gesteckt. Dort überarbeitete er zwar die Pisaner Cantos, schrieb weitere und übersetzte Konfuzius, und er empfing bedeutende Besucher, darunter Hemingway und T.S. Eliot, die schließlich das Ende des Klinikaufenthalts erwirkten, doch er war längst gebrochen. Dennoch gelten die Pisaner Gesänge „als die wohl größte Dichtung“ des Zwanzigsten Jahrhunderts, schreibt Thornton Wilder. Nach seiner Freilassung als unheilbarer, aber nicht gemeingefährlicher Geistesgestörter kehrte er nach Italien zurück und wurde unter die Vormundschaft seiner Frau gestellt.

Im Jahr 1967 saß er im Atelier von Arno Breker Modell und im selben Jahr drehte Pasolini einen Film über ihn. Er äußerte spät, dass er seinen Antisemitismus bedauere. Seine letzten Jahre verlebte er beinahe sprachlos bei seiner Tochter unterhalb von Meran. Im Nachwort zu einer Neuausgabe der gesamten Cantos wird Pound als „schwieriges Individuum“ bezeichnet. (Was fast als Witz zu deuten ist.) Pound starb im Jahr 1972. Sein Grab befindet sich auf der Begräbnisinsel San Michele in Venedig.

This liquid is certainly a

property of the mind

aus dem Canto 74

Morris J. Lucree, U.S. armed forces, Ezra Pound 1945 May 26 mug shot, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Categories: 2021

Babylonische Sprachverwirrung

Ein Vortrag im Rahmen der Ausstellung Wurzelspitzen

01 Einstieg: Sie wissen vom Turmbau zu Babel, der ein Bild für Vermessenheit ist, und von der alttestamentarischen Bestrafung durch Sprachverwirrung. Daraus habe ich das Alttestamentarische und überhaupt das Christliche, und das bitte ich zu entschuldigen, heraus gewaschen. Dadurch haben wir hier ein Bild, das weit darüber hinaus geht. Göttliche Bestrafungen finden nicht mehr statt. Wir erzeugen die Katastrophe heute selbst.

Sie werden hören, dass ich dauernd auf Bienen zu sprechen komme. An ihnen arbeite ich mich entlang. Sie träufeln es in mein Ohr, wie Joyce sagt. Vor allem in letzter Zeit werden viele Texte zu ihnen geschrieben, besonders übrigens Romane. Manche habe ich gelesen. Gelegentlich wird die Organisation des Bienenstaates auf die Gesellschaft übertragen. Das ist falsch. Das ganze Volk ist – wie ein gegenwärtiger Bienenforscher schrieb – ein Säugetier ehrenhalber.

Bienen seien heute ein Politikum, heißt es. Aber nicht für mich.

Zur Abrundung des Einstiegs und um ein Leitmotiv zu installieren, zitiere ich John Cage: „Ob man durch Träume, den Lotussitz oder Atemübungen zu sich findet (…), immer kommt man zum selben Ergebnis: Man darf kein Konzept haben. Sicherlich zielen alle Kōans des Zen-Buddhismus darauf ab, jedes Konzept zu Staub zu zermahlen, bis nichts mehr übrig ist.“

02 Wissenschaft: Als ich mich mit Bienenkunde beschäftigte, fiel mir auf, dass man das gesamte Feld immer in Segmente unterteilte. Innerhalb dieser Abschnitte, die man einzeln sozusagen unters Mikroskop legte, ergaben sich Einsichten. Etwas wurde erklärbar. Und dieses Wissen lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Wenn ich übrigens nachlese, beachte ich, wie die Fragestellungen aussahen. Denn Ergebnisse erhält man je nach den Fragen.

In der wissenschaftlichen Aufschlüsselung fehlt mir meistens etwas. Das hat damit zu tun, dass es – ich gebrauche den Begriff mit aller Vorsicht – in spiritueller Hinsicht keine Rolle spielt, ob ein Bereich wissenschaftlich aufgeschlossen ist oder nicht. Ich will noch grundsätzlicher und provokativer werden. Wissenschaftliche Entdeckungen ändern nichts an der Rätselhaftigkeit der erforschten Objekte. Denn sie wird nicht beeinflusst, indem jemand heran tritt und uns erklärt, wie es sich verhält.

Es könnte so erscheinen, als wollte ich hier die Wissenschaft abwerten oder sie als das Gegenteil der Kunst darstellen.

Wie Sie in meinem Katalog sehen, sind die naturwissenschaftlichen Darstellungsweisen für mich als Künstler oft interessanter als die Forschungsergebnisse. Das hat damit zu tun, dass fast jede Art davon ins Bildnerische hinein reicht. Selbst eine mathematische Formel ist zugleich eine Grafik. Dort sind aber wir zuhause. Wird etwas aufgedeckt, frage ich: Wie ist es gezeichnet? Als Beispiel nenne ich hier die komplexen grafischen Modelle der Enzyme, die an sich derartigen Bildcharakter haben, dass ich sie nur noch aus dem Zusammenhang lösen musste, um sie als vielfarbige Bilder auf Papier zu drucken.

03 Diskussion: Ich will Ihnen von einer Diskussionsrunde erzählen. Das Ganze ist 18 Jahre her. Wir saßen zu fünft in einem Raum. Einer hielt sich heraus, was ich im Nachhinein interessant finde. Denn worin bestand seine Rolle? Einer experimentierte beruflich mit Genmanipulation bei Amseln und bezeichnete das Zusammenbringen einer männlichen und einer weiblichen Zelle als Schöpfungsakt. Er hatte ja den Beweis unter dem Mikroskop. Er schob die eine Zelle in die andere hinein und sie fingen an, sich zu teilen. Es war ihm unmöglich, etwas Zusätzliches wahrzunehmen. Seine Frau unterstützte ihn argumentativ. Ein Freund und ich sprachen gegen diese Sicht. Wir sagten: Du kannst die Voraussetzungen schaffen, aber das, was man früher oder anderswo als göttlichen Funken oder als den Lebenshauch bezeichnet hat und wofür wir kein Wort haben, kann der Mensch nicht leisten. Sie erinnern sich an das Fresko von Leonardo mit den zwei Fingern, die sich fast berühren. Es heißt: „Die Erschaffung Adams.“ Das habe ich vor Augen. Und ich sprach dann eine gewagte These aus, die ich Ihnen nicht ersparen will: „Es ist die Urkränkung des Menschen. Denn er ist nicht in der Lage, Leben zu erschaffen. Womöglich ist der Mensch deshalb abhängig davon geworden, Lebendes zu zerstören.“

04 Sinnesempfindungen: Von diesem Verzweigungspunkt an kann es in verschiedene Richtungen weitergehen. Man könnte eine religiöse Debatte anstrengen und ethische Fragen aufwerfen. Anstatt dessen bekunde ich meinen Respekt vor sinnlicher Wahrnehmung. Damit meine ich nicht nur unsere Sinnlichkeit, sondern vor allem die der Tiere und Pflanzen bis hinunter zu den Bakterien.

Hunde beispielsweise wittern feinste Gerüche und können mittlerweile darauf trainiert werden, elektronische Speichermedien zu erschnüffeln. Auf diese Weise konnte bei jenem gewaltigen Missbrauchsskandal Lügde in der Wohnwagensiedlung ein USB-Stick entdeckt werden, der vom Täter in eine Sofaritze gesteckt worden war. Darauf hat man dann kinderpornographische Fotos gefunden. Ich erinnere mich nicht, wie stark man den Täter bereits belastet hatte, aber ich möchte gern glauben, dass der USB-Stick eine wichtige Rolle gespielt hat. Bienen, bei denen ebenfalls der Geruchsinn extrem ausgeprägt ist, riechen „plastisch“. Menschliche Nasen hingegen sind so geformt, dass sich die Luftströme darin verwirbeln. Dadurch sind wir nicht in der Lage, Düfte exakt zu lokalisieren und von anderen, ebenfalls vorhandenen, zu trennen.

Bereits früh im letzten Jahrhundert wurde der größte Teil der Bienenanatomie erschöpfend bearbeitet. Das alles steht in einem Buch mit dem Titel „Der Bau Der Biene“ aus einer siebenteiligen Reihe, die der Erlanger Bienenforscher Enoch Zander seit dem Jahr 1911 heraus gegeben hat. Dabei entdeckte er das Magnetfeldorgan, das bei den Bienen in der schmalen Brücke zwischen dem mittleren und dem hinteren Leib sitzt. Dort liegt auch das Gleichgewichtsorgan.

Ich nahm die Abbildungen, zeichnete sie nach und arbeitete mich auf diesem Weg ein. Dabei bemerkte ich, dass ich Zeichnungen abzeichnete, und zwar entsprechend der frühen Jahre des vergangenen Jahrhunderts solche mit Feder und Tusche. Sie stammten von Zander. Folglich trat ich einen Schritt zurück und nahm die Federzeichnungen selbst, indem ich mithilfe von Tipp-Ex alle wissenschaftlichen Zuweisungen, Pfeile, Zahlen und zuvorderst den Text hinaus warf. Es war, als ob ich Fäden zerschneiden würde. Ich löste die Einbettung. Herr Zander hatte auch Ergebnisse anderer Forscher in sein Buch aufgenommen. Deshalb erkennt man, sobald die Zeichnungen allein stehen und somit in den künstlerischen Bereich vordringen, augenblicklich die Spur der Hand.

Für Bienen spielen die Sinne eine erhebliche Rolle, wenn es um die Orientierung im Raum geht. Sie haben zwei Facettenaugen seitlich am Kopf und drei Punktaugen oben, mit deren Hilfe sie das Sonnenlicht interpretieren. Von den Bienen ist uns bekannt, dass sie nichts hören. Aber sie lösen diesen Mangel, indem sie die feinen Luftvibrationen wahrnehmen, die durch akustische Signale erzeugt werden. Zugleich spüren sie das Magnetfeld. Im Flug orientieren sie sich an Landschaftsmarken, an Düften, an Farben und so weiter. Sie merken sich die Silhouette eines Waldes. Sie verfügen nicht nur über einen Zeitsinn, mit dessen Hilfe sie berechnen, wie weit die Sonne gewandert ist, während sie sich im Stock aufgehalten haben oder wo das Magnetfeld, das ja schwingt, in Bezug auf die Tageszeit steht. Sie haben ein Mittelzeitgedächtnis. Nach etwa einer Woche haben sie zwar das Meiste vergessen. Vieles, das innerhalb dieses Rahmens liegt, bleibt jedoch gespeichert. Im Übrigen gestalten sie Räume. Die Blütenpracht beispielsweise, die Gestalt der Pflanzen oder die der Landschaft, die wir sehen, wenn wir spazieren gehen, verdanken wir bestäubenden Insekten.

Die Menschen haben zwei Hauptsinne, das sind Hören und Sehen. Indem das Fernsehen genau diese beiden bevorzugt anspricht, kann es die anderen ausklammern. Weniger hoch bewertete Sinne wie Riechen, Schmecken, Berühren, Zeitsinn, Gedächtnis, Wärme-Kälte, Schwere, Gleichgewicht und so weiter liefern uns unterschiedlich bewertete Informationen. Besonders den Gleichgewichtssinn benutzen wir unbewusst. Wir stehen in gerader Linie zum Erdmittelpunkt. Das betrifft ebenso das Gehen. Zu sehr feinen Informationsströmen haben wir eingeschränkten Zugang. Unsere Wahrnehmungsfähigkeit ist entweder abgekoppelt oder ins Unbewusste abgerutscht. Die Kunst ist nicht dazu da, entfernte Sinne zu beleben. Aber manchmal bedient sie sich ihrer, lockt sie hervor, spricht sie an und reinstalliert sie.

Das ist hier kein Ort für Kunsttherapie.

Darüber hinaus will ich dorthin gehen, wo wir mittelbar wahrnehmen. Mir wurde mitgeteilt, dass wir kein Organ haben, um das Magnetfeld zu fühlen. Dafür haben wir den Kompass erfunden. Bei Pferden gibt uns ein Röntgenbild des Knies Auskunft, ob eine Knochenabsplitterung vorliegt. Das kommt relativ häufig vor, wenn die Pferde dazu gezwungen werden, über Hindernisse zu springen, wie es bei Turnieren der Fall ist. Diese Absplitterungen wandern entlang der Knochen und verursachen dem Pferd erhebliche Schmerzen. Pferde können Schmerz nicht äußern, sie können nicht weinen. Sie sind Fluchttiere. Ließe man sie, würden sie davon rennen. Der Mensch hat das Röntgenbild in der Hand und müsste Schlüsse ziehen.

Vor kurzem habe ich übrigens gelesen, dass Bienen mit voller Geschwindigkeit, das sind etwa 30 km/h ein Unterholz durchfliegen können. Das verlangt ihnen erhebliche Navigationsfähigkeiten ab. Und obwohl man ihnen längst Sender auf den Rücken geklebt hat, ist es wissenschaftlich nicht entschlüsselbar, was da geschieht.

05 Das System: Ob Bienen Schmerz empfinden, ist zweifelhaft. Ich vermute, dass es nicht der Fall ist.

Bei den Bienen gibt es die Möglichkeit, dass ein Volk plötzlich als Ganzes reagiert. Nehmen wir an, dass giftige Gase in den Stock gelangen. Ich hatte das einmal am Stand. Im Spätherbst hatte jemand einen vollen Benzinkanister von vorn unter die Paletten gesteckt, auf denen sie stehen. Aus dem Behälter entwichen unablässig feine Dämpfe und im Frühjahr war keine einzige Biene mehr da. Sie waren nicht gestorben, sondern einfach ausgezogen. Natürlich hätten sie <i>wissen</i> können, dass sie draußen keine Chance haben, zu überleben. Aber die Bedingungen waren für sie unannehmbar.

Wenn ich die Bienenstöcke öffne, spüre ich Zuneigung. Doch ich fühle bei den Bienen, und das werden sie unmittelbar nachvollziehen können, auch Distanz. Bienen sind keine Kuscheltiere. Ein Bekannter gab nach einem Jahr die Bienenhaltung auf, da ihm das System zu komplex war.

Im Bienenstock herrscht so etwas wie pure Energie. Vor kurzem mutmaßte ich, dass diese reine Energie nur durch Lebewesen fließen kann, für die Leben und Tod nicht wichtig sind. Was uns auffallen muss, wenn wir die Bienen betrachten, ist Folgendes: Sie haben sich im Laufe von ein paar Hunderttausend Jahren nicht verändert. Das zugrunde liegende System hat sich nicht gewandelt. Und das ist – wie ich meine – aus einem ganz bestimmten Grund geschehen. Es ist seit langer Zeit perfekt.

Dieses System beugt sich auch nicht, wenn die Bienen weg sind. Wenn ein Volk stirbt, stoppt der Energiefluss. Ziehen aber neue Bienen in den Kasten ein, so folgen sie auf absolute Weise demselben System. Das besteht aus eineindeutigen Postulaten, sowie aus offenen Stellen, wo der Mensch regulierend eingreifen kann. Das Gewebe aus verschlossenen und offenen Systemgliedern existiert jedoch unabhängig von den Bienen. Zum Beispiel kann es nur eine Königin pro Volk geben. Eines, in dem sich zwei Königinnen aufhalten, ist in eine Schieflage geraten. Womöglich wird die eine Königin die andere abstechen oder die ältere kann mit den älteren Bienen den Stock verlassen. Es besteht unbedingter Handlungsbedarf. Falls wir die alte Königin, die entfernt werden soll, fänden, könnten wir sie einfach aus dem Stock pflücken und ins Gras schmeißen. Sie würde dort zwar von ein paar Arbeiterinnen gesucht, aber irgendwann aufgegeben.

„Man kann Bienen auch in einem Gummistiefel halten.“ Diesen Satz prägte Franz Wagner, mein Bienenlehrer. Der Satz bezieht sich darauf, dass sich das System trotz der vollständigen Wandlung ihrer Lebensräume nicht im Geringsten geändert hat. Wir haben die riesigen Wälder mit dicken Bäumen gerodet und die Bienen in unsere Abhängigkeit gebracht. Im städtischen Raum wird manchmal noch ein Rollladenkasten besiedelt. Das ist aber auch alles. Doch ihr System sagt weiterhin entweder ja oder nein. Nullen und Einsen. Dazwischen gibt es nichts. Darin liegt – wie ich glaube – ein Teil dessen, was wir als die Intelligenz der Bienen bezeichnen.

Nun tritt aber der Mensch heran. Die Wissenschaft leiht ihm zwar eine Hand, aber die Intention ist allgemein. Er hätte beispielsweise gern, dass zwei Königinnen nebeneinander im Volk leben. Denn es ist nun einmal so, und das ist schon sehr lange der Fall, dass wir etwas, das sich gar nicht ändern lässt, am allerliebsten ändern möchten. Je größer der natürliche Widerstand ist, desto größer ist unser Anliegen.

Auch ich dachte, natürlich in viel kleinerem Rahmen, ich müsse handeln. Ich muss aber nicht. Daher habe ich mir angewöhnt, den Bienen möglichst viel selbst zu überlassen. Und es hat sich heraus gestellt, obwohl es sich manchmal nur um Feinheiten handelt, dass sie es besser können.

06 Informationen: Ein bedeutender gegenwärtiger Bienenforscher namens Jürgen Tautz hat im Jahr 2021 in seinem Buch „Die Sprache der Bienen“ neue Ergebnisse vorgestellt. Er hat erweitert, was Karl von Frisch bis zum Jahr 1927 heraus gefunden hatte. Das Buch des Herrn von Frisch heißt „Aus Dem Leben Der Bienen“ und ist populärwissenschaftlich. Es geht dabei unter anderem um die Übermittlung von Informationen mithilfe der Tanzsprache. Für deren Erforschung hat von Frisch im Jahr 1973 den Nobelpreis bekommen. Als er das Farbspektrum erforscht hat, zu dem Bienen Zugang haben, ist er darauf gestoßen, dass sie Ultraviolett sehen können. Von Frisch bezeichnete die Mischfarbe von Gelb und Ultraviolett poetisch als „Bienenpurpur“. Bienen sehen Farben anders als wir. Grün – soweit ich das verstanden habe – ist für sie ein lichtes Grau und kommt dem nahe, was uns farblos erscheinen würde. „Wo für uns die weißen Sterne der Gänseblümchen in der Wiese stehen, da leuchten den Bienen blaugrüne Sternchen entgegen.“ So schreibt von Frisch. Die Blüten strahlen für sie insofern aus einem beinahe farblosen Feld heraus. Die Gärtner und Naturbeobachter unter Ihnen kennen vermutlich im blauen Vergissmeinnicht den gelben Ring. Das ist das „Saftmal“. Bienen sehen diesen inneren Kreis in zahlreichen Blüten zwischen dem Pollenkranz und dem äußeren Blütenrand.

Wie die im Stock übermittelten Informationen außerhalb des Stockes eingesetzt werden, hat von Frisch ausgespart. Bezüglich des Bienentanzes haben sich die Forschungsmethoden weiterentwickelt. Man sitzt nicht mehr mit Zirkel und Stoppuhr vor der Wabe. Es gibt Videoaufzeichnungen, die man minutiös auswerten kann. Daher war lange nicht klar, dass die unerfahrenen Sammlerinnen durch die Tänze nicht in eine exakte, sondern in eine grobe Richtung geschickt werden und dass ihnen eine nur etwaige und kürzere Entfernung vorgetanzt wurde. Außerdem erhalten die Bienen im Stock auf vier unterschiedlichen Kanälen jeweils dieselbe Information. Im Stock ist soviel Trubel, dass die Nachricht unbedingt ankommen muss. Diese Redundanz spricht – wie ich meine – für deren Wichtigkeit. Die Information breitet sich auch nicht über weite Strecken aus, sondern verbleibt innerhalb eines räumlich begrenzten Feldes, das etwa die Größe meiner Handfläche hat. Es soll ja nur eine kleine Gruppe von Bienen benachrichtigt werden. Die Vortänzerinnen zupfen beispielsweise auch am Tanzboden, der Wabe, und bringen sie zum vibrieren als übermittelten sie einen Morsecode.

07 Unbestimmtheit: Die neuen Entdeckungen zeigen also, dass unerfahrene Bienen von erfahrenen Sammlerinnen in einen Bereich geschickt werden, der vor den Nektarquellen liegt. Sobald die neu informierten Bienen den Bestimmungsort erreichen, suchen sie dort und werden wahrscheinlich durch Düfte zu den Futterplätzen gelockt. Zwischen dem Schicken und dem Locken liegt ein eigener, von dem Bienenforscher Tautz erstmals eingeführter Raum, der mich als Künstler natürlich bevorzugt interessiert. Denn gerade in den kann man mit den gegenwärtig verfügbaren wissenschaftlichen Methoden noch nicht hinein schauen. Er ist bis auf weiteres undefiniert, wodurch er zu einer künstlerischen Möglichkeit wird. Ich verwende das Wort Unbestimmtheit. Und ich verweise dadurch erneut auf John Cage. Denn in seiner Arbeit spielt er eine zentrale Rolle. In seinem ersten Buch „Silence“, erschienen im Jahr 1939, gibt es zahlreiche eingeschobene Texte, die als Ganzes diesen Titel tragen: „Indeterminacy“. Er schrieb weiter daran bis es hundert wurden und verwendete den Rest in einem späteren Buch. Das erschien im Jahr 1963 unter dem Titel „A Year From Monday“. Ich kann nicht widerstehen und gebe Ihnen ein Beispiel: „In Darmstadt, während ich nicht mit Musik beschäftigt war, war ich in den Wäldern, um nach Pilzen zu suchen. Eines Tages, während ich einige Hypholamas sammelte, die nicht weit von der Konzerthalle entfernt um einen Baumstumpf herum wuchsen, kam eine Dame aus dem Sekretariat von den Ferienkursen für Neue Musik heran und sagte: Alles in allem ist die Natur besser als die Musik.“

08 Honig: Auf das Thema Honig bin ich während einer Lesung im Jahr 2011 eingegangen. Sie finden den Text im Katalog. Im Jahr 2017 wurde ich eingeladen, über Honig als Nahrungsmittel zu sprechen. Ich nannte diese Lesung „in bocca al lupo“, was wörtlich übersetzt hieße: Im Maul des Wolfes. Doch es ist genau anders herum gemeint: Nirgendwo ist man sicherer als im Rachen des gefährlichsten Tieres. Man könnte auch sagen: Hals- und Beinbruch. Da in den Vorträgen alles gesagt ist und sie nachlesbar sind, will ich nur ein paar Stichpunkte erwähnen. Auf Honig habe ich lange von oben herab geschaut. Ich folgte darin der Meinung meines Bienenlehrers. Wir hielten Honig für überbewertet in Anbetracht der schwerer wiegenden Themen. Damals gab es viele Imker, die ausschließlich der Ausbeute wegen Bienen hielten. Das kam uns verwerflich vor. In dieser Hinsicht hat sich in Zusammenhang mit der Stadtimker-Bewegung einiges verändert. Im Jahr 2011 kam ich ins Nachdenken und legte mir das Ergebnis so zurecht: Honig ist ein Botschafter. Er gibt Auskunft über die Pflanzen. Er führt die Menschen an die Bienen als Lebewesen heran. Stadthonig verbindet den Stadtbewohner mit dem städtischen Raum. Honig bildet zwischen uns eine Mitte. Der Text trägt den angeberischen Titel „missing link“.

09 Kommunikation: Sie kennen womöglich das Buch „Phänomen Honigbiene“ von dem vorher erwähnten Jürgen Tautz. Es ist fesch aufgemacht, doch am Schluss steckt weniger dahinter, als man erwartet. Es ist gedacht für den staunenden Anfänger. Lassen Sie uns – sozusagen als Arbeitshypothese – von Sinnesorganen und den entsprechenden Sinnesempfindungen bei allen Lebewesen ausgehen, die an der Honigproduktion beteiligt sind. In jenem weiteren Buch, auf das ich bereits eingegangen bin, „Die Sprache Der Bienen“, verspricht Herr Tautz uns Entscheidendes. Doch schließlich erklärt er uns nur den Weg der Biene vom Bienenstock zur Pflanze und den nicht einmal ganz. Was ich in Augenschein nehmen möchte, geht darüber hinaus. Denn ich will die Verständigung der Bienen mit den Pflanzen betrachten oder den Informationsaustausch verschiedener Völker untereinander oder den verschiedener Insektenarten und/oder Pflanzenarten und so fort. Weiter will ich den Menschen dazu nehmen. Der hält eine Sonderrolle. Einerseits muss man ihn für einen Augenblick entfernen. Denn er tritt als Betrachter auf und kann sich distanzieren. Und wir müssen fragen, was sich verändert, wenn wir uns aus der gesamten Gleichung heraus nehmen. Aber wir müssen uns auch einbeziehen. Denn wir sind selbstverständlich als Kommunikatoren beteiligt. Mein Anliegen ist, möglichst viele Formen dieser Verständigung auf die Schnur zu fädeln und „keine“ Theorie zu entwickeln.

Das Thema Kommunikation ist so komplex, dass selbst die Wissenschaft nicht weiter als bis zu den Ausläufern des Gebirges gelangt ist. Als Laien gingen wir davon aus, dass Menschen kommunizieren – oder auch Beziehungen zerbrechen, weil nicht geredet wird – oder dass gelogen wird, was einen wichtigen Platz einnimmt. Es gibt zahllose Bücher darüber. Die kann ich nicht alle gelesen haben. Doch selbstverständlich habe ich im Vorfeld recherchiert und die fünf gängigsten Modelle betrachtet. Meistens werden darin die gleichen Faktoren aufgebracht. Beispielsweise das, was der Sender sagen will, was er sagt und wie sich alle möglichen Zusatzbotschaften in das Gesagte hinein drängen, unter anderem Selbstoffenbarung und Selbstbekundung, und was der Empfänger schließlich versteht. Ich könnte jetzt ein Referat halten, vielleicht vor einer zehnten Klasse. Doch die meisten greifen bei Tieren und Pflanzen nicht. Wir müssen uns aber daran gewöhnen, nicht im Mittelpunkt zu stehen.

Erst 2,5 % aller Lebewesen auf dieser Erde sind bisher identifiziert worden, heißt es. Im Jahr 1995 fand man das bis dahin älteste Lebewesen der Welt. Es war ein 25 Millionen Jahre altes Bakterium, das man im Hinterleib einer Biene aufgespürt hatte, die in Bernstein eingeschlossen gewesen war. Von Bakterien wissen wir, dass sie den Boden aufbereiten und tonnenweise Abfall zersetzen und sich am Erdmagnetfeld ausrichten.

10 Flora: Was die Pflanzen betrifft, ist jetzt eine neue Forschungsmethode in. Diese Einschätzung hörte ich von einem amerikanischen Botaniker. Entsprechend dem allgemeinen Trend wird an die Pflanzen beinahe esoterisch heran gegangen. Ein Buch, das ich dazu nennen möchte, heißt „Die Intelligenz Der Pflanzen“ von dem Florentiner Professor Stefano Mancuso. Ein zweites heißt „Was Pflanzen Wissen“ von dem Israelischen Biologen Daniel Chamovitz. Beide sind populärwissenschaftlich. Man darf dabei die ungenannten Leute nicht vergessen, die überall auf der Welt in Forschungsgruppen sitzen und arbeitsteilig helfen.

Ich zitiere Stefano Mancuso, der in seinem Buch „Die Pflanzen Und Ihre Rechte“ Folgendes referiert: „Berühmt ist die erstmals von den deutschen Biologen Ernst Haeckel und Carl Vogt propagierte Geschichte, wonach ausgehend von Darwin das Schicksal Englands von den Katzen abhänge. Da sie Mäuse fraßen, erhöhten sie damit die Überlebenschancen der Hummeln, die den Klee bestäubten, der an die Ochsen verfüttert wurde, die das Fleisch produzierten, das die britischen Seeleute ernährte, was es der britischen Marine – der eigentlichen Machtbasis des Empires – erlaubte, ihre ganze Kraft zu entfalten. Thomas Huxley trieb den Scherz noch weiter, indem er anführte, dass nicht die Katzen, sondern die beharrliche Liebe englischer Spinner zu ihnen die wahre Stärke des Empires repräsentierten.“

Jener gegenwärtige Zweig der Biologie bemüht sich um das Auffinden von Sinnesorganen bei den Pflanzen. Wir möchten gerne glauben, dass es sie gibt. Wir wünschen uns buchstäblich das Ohr an einen Baum hin. Aber wir wissen, dass wir scheitern werden. Das bedeutet indessen nicht, dass akustische Reize vernachlässigt werden dürfen. Wenn verschiedene Baumarten, meinetwegen eine Eiche und eine Weißbuche eine gemeinsame Krone bilden, muss das als Zusammenleben genommen werden. Ein gesamter Wald ist als Koexistenz von Lebewesen zu sehen. Sie kommunizieren mithilfe komplexer chemischer Prozesse über die ineinander verflochtenen Wurzeln. Hier ist die Rolle der Pilze umfassend zu denken. Sie erstrecken sich unterirdisch über riesige Felder. Ich vermute, sie verbinden entfernte Wurzelwerke und transportieren Informationen.

Damit lande ich erneut bei John Cage. Ich zitiere aus „A Year From Monday“: „Als Valerie Bettis in den Kinofilmen ankam, wurde sie von jemandem, der sie interviewte, gefragt, wie es sich anfühlte, erfolgreich zu sein? Sie sagte: Was meinen Sie? Ich war immer ein Erfolg.“

11 Diskurs: Ich kenne im Übrigen auch das einschlägige Buch des Philosophen Emanuele Coccia. Es heißt „Die Wurzeln Der Welt“. Ich habe darin herum gelesen und es als Geschwurbel abgetan.

Dabei möchte ich Sie auf die Form unseres Diskurses hier an diesem Ort aufmerksam machen – wobei ich mich explizit auf Ruth Geiersberger beziehe, die in diesem Rahmen in Bezug auf Stefano Mancuso eine gegensätzliche Meinung geäußert hat. Sie ist ja sogar nach Florenz gefahren, um ihn zu treffen. Wir sprechen nicht davon, dass etwas so ist oder nicht so ist, dass wir dieses oder jenes zweifelsfrei festgestellt haben, sondern dass wir es auf diese oder jene Weise sehen. Wir erzeugen Bilder.

Beispielsweise fragte mich ein Freund: „Was ist dein Werk?“ Und ich antwortete: „Ich habe keins.“ Das Werk ist eine Erzählung. So und so habe ich vor geraumer Zeit ein bestimmtes Thema angefasst und dies ist damals dabei heraus gekommen. Aber heute wäre es anders. Im Jahr 1998 gab es beispielsweise eine Radiosendung mit dem Titel „Der Stadtimker“. Und ich staune heute, wie wenig ich damals zu sagen hatte. Ich habe also kein Köchelverzeichnis. Daher ist der Diskurs lebendig.

12 Bruder Baum: Da wir sehen, dass separate Forschungszweige existieren und sich flüchtig berühren, die einen bemühen sich beispielsweise um Bienen, die anderen um Pflanzen, dann müssen wir im Grunde abwinken. Denn es gibt keine gelegentlichen Berührungspunkte, sondern es ist eine gemeinsame Welt. Wir stehen sowohl davor, als auch darin und bemühen uns, sie als Ganzes zu sehen. Die Tatsache, dass zahlreiche unterschiedliche Gruppen von Forschern sich in Einzelsträngen um Aufschlüsse bemühen, ändert nichts am sinnlich Tatsächlichen.

13 Kluge Köpfe: Nun schlage ich einen Haken und gehe zurück auf Los. Ich hoffe, Sie glauben nicht, ich würde Ihnen hier einen Ausweg anbieten. Ich beschreibe eine Sicht. Der Text soll Sie nicht verleiten, Ihr Ohr an ein Stück Wiese zu pressen. In München, im Rosengarten, wo meine Bienen stehen, das muss ich kurz erzählen, gibt es im Frühjahr etwa zur Zeit der Magnolienblüte Spaziergänger, die scheu ins Unterholz huschen und einen Baum umarmen. Manchmal, wenn ich bei den Bienen arbeite, sehe ich dieses Treiben. Ich finde es rührend, ein bisschen armselig vielleicht. Bruder Baum. Es ist eine Geste.

Die Babylonische Sprachverwirrung beziehe ich auf Sinnesorgane und -empfindungen und somit auf den Kommunikationsbereich. Uns Menschen ist das Zuhören abhanden gekommen. Oder wir haben noch nie zugehört. (Letztere ist die These, die mir am ehesten einleuchtet.)

Aber, denkt man gleich, wir hatten doch beispielsweise die Romantik oder die Aufklärung. Ich möchte dem gegenüber stellen: Wir haben „uns“ ausprobiert. Im Laufe von ein paar Tausend Jahren haben wir jeweils neue Brillen aufgesetzt. Uns ging es darum, was wir sehen, wenn wir es auf eine bestimmte Weise anschauen.

Ich will eine Person erwähnen, die mir wichtig ist: Jonathan Franzen, ein US-amerikanischer Schriftsteller, der Vögel beobachtet und sich anhand dessen, was er sieht, etwas denkt. Er hat dazu eine Reihe Essays verfasst. Der letzte heißt „Wann Hören Wir Auf, Uns Etwas Vorzumachen?“ und er schreibt: „Das Kind ist in den Brunnen gefallen.“ Über die Kommunität der Klimaaktivisten, die jede seiner Äußerungen argusäugig verfolgt und mit shitstorms beantwortet, sagt er: „Die Aktivisten, die so denken, erinnern mich an jene religiösen Führer, die fürchten, dass Menschen sich ohne die Verheißung ewiger Erlösung gar nicht erst um tugendhaftes Verhalten bemühen würden.“

Wir arbeiten mit Bildern. Bei der Graswurzelbewegung „Fridays For Future“ geht es mir um das erste und ikonischste: Ein Mädchen sitzt auf der Straße und hat ein von Hand beschriebenes Pappschild neben sich. Greta Thunberg ist als eine Marilyn inszeniert worden.

Ihnen ist bewusst, dass wir uns als Menschheit plus zugehörigem Planet Erde in einer heiklen Situation befinden und das ist die Folge unseres Handelns. Doch wen betrifft unser Handeln? Die Antwort ist vergleichsweise einfach. Von den meisten Lebewesen wissen wir es nicht, da wir sie nicht kennen. Die anderen sind derart widerstandsfähig und zählebig, dass wir uns um sie keine Sorgen machen müssen. Es trifft uns Menschen, zahlreiche der Tiere, die mit uns in Gemeinschaft leben und die meisten der uns bekannten Pflanzen, Bäume, Gräser, Büsche. Grundsätzlich entziehen wir uns die Lebensgrundlage.

Vor wenigen Jahren konnte man dreimal pro Saison Honig schleudern: Mai, Juni, Juli. Dieses Jahr ging nur Ende Juli die Abschlussschleuderung. Stellen Sie sich vor, es kämen schlimmere Jahre. Die Bienen könnten wegen Kälte und Regen selten ausfliegen oder extreme Hitze würde den Nektar eintrocknen lassen. Bestäubungen fänden nur gelegentlich statt und oft nicht durch Honigbienen. Die Imker müssten im Herbst regelmäßig füttern, gegen Krankheiten behandeln und einwintern. Ohne Gegenleistung. Was vermuten Sie?

An dieser Stelle hatte ich eine Abfolge gegenwärtiger Positionen stehen. Die habe ich gestrichen und ersetzt durch einen Satz: Kluge Köpfe tappen in die Falle, indem sie Auswege aufzeigen.

14 Finale: Zum Schluss kommt noch einmal John Cage zu Wort. Er hat im Jahr 1992 während seines letzten Interviews gesagt: „Ich war mir des Gedankens von Norman O. Brown bewusst, dass wir nun, da wir die Umwelt ruiniert haben, die Atmosphäre für schöne Sonnenuntergänge bereitet haben.“

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Categories: 2021

tradotto secondo google

Atelier

Gleich zu Anfang des Jahres 2020, nachdem der Katalog gedruckt war, sendete ich ein Exemplar nach Mailand zu meiner Galerie. Sie antworteten mir umgehend, dass sie gern eine weitere Ausstellung mit mir machen wollten und ebenso wollten sie den Katalog präsentieren, auch wenn alle Texte darin auf Deutsch geschrieben sind.

Viele meiner Blätter gehören unterschiedlichen Serien an. Sie entstehen mit der Zeit, langsam und manchmal als Folge des Studiums von bienenkundlichen Büchern. Manche Felder sind weiter undurchsichtig, was heißt, es ist für die Forscher weiterhin unmöglich, dort hinein zu sehen.

Bei allen Blättern ist der Fall, dass sie dem Gesetz der Synergie gehorchen, das Buckminster Fuller so genau beschrieben hat: Das Ganze ist größer als die einzelnen Teile. Vor kurzem, da sie ja für Italien gedacht sind, setzte ich einen kleinen Stempel, wie bei der Post, den kann man auf Blätter hauen. Darauf steht: tradotto secondo google. Denn man hat ja das Smartphone neben sich liegen und häufig benutze ich es, um Texte ins Italienische übersetzen zu lassen.

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