Stechen/Schlafen
Gelegentlich nehme ich Lehrbücher über Bienen zur Hand. Sie sind von der Art, wie ich sie früher verschlungen habe, um mir Grundwissen und etwas darüber hinaus anzueignen. Dort finde ich Fakten, die vor einigen Jahrzehnten galten, heute aber widerlegt sind. Kenntnisse über Bienen unterliegen der Wissenschaftsgeschichte wie alles andere auch. (Das herausragendste Beispiel sind wahrscheinlich die neuen Erkenntnisse über Bienenorientierung.) Sogar Meinungen finde ich darin oder Fakten, die auf Grundlagen hindeuten, die mich dazu veranlasst hatten, mir Meinung zu bilden, die ich heute nicht mehr vertreten kann. Eine davon ist die Frage, ob die Bienen den Imker kennen. Natürlich lernte ich, dass Bienen die Angst des Menschen, der sich ihnen nähert riechen, so wie Hunde sie wittern, und daher zum Stechen verleitet werden. Legt man also die Angst ab, wird man weniger gestochen. Das ist jedoch kein willentlicher Prozess. Bei mir ließ die Angst nicht nach, sondern wurde durch Wut und einen damit verbundenen Energieschub überlagert. Am Ende des ersten Sommers sagte ich zu ihnen: „Stecht mich, soviel ihr wollt, ist mir egal.“ Im zweiten Sommer hatten sie es sich zu Herzen genommen.
Nachdem ich jahrelang Beobachtungen bezüglich des Stechverhaltens betrieben hatte, fasste ich einen Entschluss. Ich revidierte meine Aussage, dass sie mich nicht kennen. Ich denke, das tun sie sehr wohl, denn anfangs, während der allerersten Besuche, wie ich meine, werde ich mehr gestochen. Dennoch habe ich auch dann keine Angst. Das Stechen lässt ohnehin bald nach. Ich glaube, dass sie so etwas wie ein Geruchsprofil des Menschen, der sich ihnen nähert, erstellen. Da ich regelmäßig komme und ihnen nichts Böses will, stufen sie mich als nicht-bedrohlich ein.
Außerdem ist mir bekannt, dass ein Inhalt etwa zwei Wochen lang im Gedächtnis der Biene bleibt. Im Frühjahr muss daher eine Auffrischung bei den älteren Bienen stattfinden.
Früher verneinte ich entschieden. Heute bin ich nicht mehr sicher.
© Helga R. Heilmann/Biozentrum Uni Würzburg
Im Laufe der Jahre kamen immer wieder neugierige Besucher an den Stand, jeweils mit anderen Interessen, erhielten allerdings von mir unterschiedliche, sich wandelnde Antworten. Eine der Spekulationen ging um die zentrale Frage: Können Bienen schlafen? Ich behauptete: Sie haben nicht genug Gehirn, um schlafen zu können. Das sagte ich, bis ich zuerst zwei aneinander geschmiegte, schlafende Solitärbienen (Diadasia diminuta) am Grund einer Kugelmalvenblüte sah, dann eine ganze Schlafstatt von Honigbienen innerhalb eines Stockes.
Allerdings ist das Gehirn der Biene im Verhältnis zu ihrem Körper riesig und es gibt sich nicht müßigen Träumereien hin, vermute ich, wie das menschliche. Natürlich können Bienen schlafen.
Während der ersten Wochen, während sie also in der Dunkelheit Dienste verrichten, wandelt sich der Schlaf- und Wachrhythmus entsprechend ihrer Arbeit. Jungbienen, las ich, schlafen mehr als erwachsene Bienen. Deren Verhalten nähert sich dem Rhythmus der Tages- und Nachtzyklen an, denen die meisten Menschen unterliegen. Die Pausen, die Bienen zwischen den Arbeitsgängen einlegen, sind vergleichsweise lang, insbesondere wenn man den sprichwörtlichen Fleiß nicht auf das Ganze des Bienenvolkes bezieht, sondern auf das einzelne Individuum.
In einem Text zur Quelle des Schlafes heißt es auf der Internetseite des Bienenforschungsinstitutes in Würzburg: „Zur biologischen Funktion des Schlafes bleiben auch bei Bienen viele Fragen ungelöst. In der Wissenschaft gibt es zwar unterschiedliche Erklärungen, aber keine davon ist allgemein anerkannt. Eine Hypothese geht zum Beispiel davon aus, dass sich der Organismus im Schlaf regeneriert. Eine andere betrachtet den Schlaf als Energiesparmaßnahme, und eine dritte besagt, dass das Gehirn im Schlaf wichtige von unwichtigen Informationen trennt und das Gedächtnis sinnvoll belädt.“