Monat: Juni 2007

Girasole

Edition bei Pulcinoelefante, Osnago bei Mailand, mit Stefano Soddu

Nach der Ausstellung in Mailand, die mich wegen der langen Vorbereitungszeit erschöpft hatte, fuhr ich eine Weile nicht nach Italien. Bis dahin hatte ich gelegentlich telefoniert, aber mich nicht aufraffen können. Stefano Soddu und ich hatten ausgemacht, zum Herausgeber und Drucker der Edition Pulcinoelefante zu fahren. Dessen Werkstatt liegt 30 Kilometer von Mailand entfernt auf dem Land. Wie ich feststellte, benutzt er ein leicht chamoisfarbenes, sicher 300 Gramm starkes Bütten mit gerissenen Rändern. Es ist industriell hergestellt und stammt aus der deutschen Papierfabrik Hahnemühle. In jedes Blatt ist ein Hahn (den ich jedoch nicht entdecken konnte) als Wasserzeichen eingelassen. (Im Internet erfährt man, dass die Hahnemühle während des Zweiten Weltkriegs vom Reichssicherheitshauptamt angewiesen wurde, das Britische Pfund zu fälschen.) Die Edition Pulcinoelefante, zu der Stefano mit mir fahren wollte, besteht seit dem Jahr 1982. (Pulcino heißt Küken.) Dort gehe alles sehr gemächlich zu, betonte er. Die Anzahl der jährlich produzierten Hefte ist jedoch enorm. Bis zum Februar 2014 waren über 9.000 Hefte gedruckt worden. Selten werden mehr als 30 Kopien hergestellt. Sie bestehen aus Blättern im Format 19,5 Zentimeter mal 27 Zentimeter, die gefaltet und vermittels Fadenheftung gebunden sind. Hier ist eine durch vier teilbare Anzahl von Seiten erforderlich. Stefano und ich ließen die Hälfte der Seiten unseres Heftes leer.

Einige fertige Exemplare wandern sofort zu Sammlern und in öffentliche Bibliotheken.

Damals bekam ich die leeren Seiten geschickt und sollte dafür eine kleine Papierarbeit herstellen. Ich verwendete das gleiche Papier wie in der Ausstellung und schnitt es zu. Es ist 13 Zentimeter lang und 8 Zentimeter breit. Diese noch ungenaue Proportion taucht anfangs der Fibonacci-Reihe auf, die ich während der Ausstellung bemüht hatte. Ich stach mit einer Stecknadel eine Schablone aus dünnem Aluminiumblech. Dabei imitierte ich die gedrehte Anordnung der Samen einer Sonnenblume. Sie wird explizit als Pflanze genannt, die in ihrem Aufbau, ähnlich wie bestimmte Muscheln, den Goldenen Schnitt benutzt. Danach legte ich die gesammelten, zugeschnittenen Blätter darunter und stach mit einer weiteren Stecknadel, deren Spitze ich angefeilt hatte, durch die vorgegebenen Löcher. Wie auf der Abbildung zu sehen ist, kam ein rundes, gedrehtes Muster zustande, das etwa sechs Zentimeter im Durchmesser besitzt, und da die Blätter von hinten nach vorne durchstochen sind, kann man mit dem Finger eine raue Oberfläche fühlen. Auf die Rückseite jedes einzelnen Blattes schrieb ich mit roter Stempelschrift: Girasole.

Ich klebte sie, wie Stefano mich angewiesen hatte, an ihrem oberen Rand mittig auf die Seite fünf der Edition. Daher trägt das Ganze den Namen Girasole. Stefano schrieb ein gespiegeltes Lautgedicht. Es wurde auf Bütten gedruckt und ebenfalls eingeklebt.

Nachdem die Edition fertiggestellt war, bekam ich neun Stück davon zurückgeschickt. Ich halte sie für außerordentlich kostbar. Wenn ich im Gesamtkatalog die Namen der berühmten Künstler betrachte, die dort Arbeiten gestaltet haben, wird mir ganz flau.

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