Monat: Juni 1998

Figurales

Eines Tages begann ich, durch die Wälder zu streifen und Harz zu sammeln. Die meisten Nadelbäume sind vom Sturm gebrochen oder zumindest verdreht. An den Stellen entlang der Risse ist Harz ausgetreten. Manchmal ist es bereits ausgehärtet, in anderen Fällen ist es blasig oder gar flüssig und wehe man bekommt es an die Finger. Man kann fast behaupten, dass die Bäume sich selbst verarzten.

Damals las ich, dass Propolis vorwiegend aus dem Harz von Pappeln besteht. Inzwischen scheint man das nicht mehr genau zu wissen. Manchmal bin ich überrascht, welche Wenden in der Bienenkunde möglich sind und welche Gewissheiten abgetragen wurden. Damals gab es ein zementiertes Wissen. Das bekam ich beigebracht. Inzwischen haben sich zu viele Menschen – wie es scheint vor allem Stadtbewohner – der Bienenhaltung zugewendet haben, das heißt über die vertretbaren Maßen hinaus. Die Forschung blieb ebenfalls nicht aus und fördert Erstaunliches zutage. Und es werden haufenweise Bücher geschrieben. Mit Propolis und starkem Alkohol erzeuge ich Tinkturen. Früher legte ich sie ins Handschuhfach des Autos, damit sie regelmäßig geschüttelt wurden.

(Ich machte mich natürlich über allerlei Formen von Materialien kund, die von Bäumen erzeugt werden, und kam auch auf Kautschuk, mit dem ich noch nie gearbeitet hatte.)

Mir ging es zunächst um das Harz. Ich betrachtete es isoliert und erkannte darin einen plastischen Werkstoff. Allerdings ist es, wie ich feststellte, leicht zerbrechlich und es ändert im Nachhinein weiter seine Form. Es ließ sich also etwas daraus machen, aber es würde nicht so bleiben. Ich begann zunächst damit, es bei Kälte in einem Mörser zu mahlen. Deshalb wirkt die Figur relativ einfarbig. Der Zerbrechlichkeit geschuldet ist die Form, in die ich es goss. Ich nahm die auf dem Foto zu sehende Madonnenfigur ab und baute eine simple Doppelform aus ungebranntem Ton. Den ließ ich lederhart werden und dichtete die Ränder ab, indem ich feuchten Ton darüber schlickerte. Die zwei Teile hielt ich mit ein paar Runden Bindfaden zusammen. Dann stellte ich sie mit dem Anguss nach oben in den Ofen. Er war auf 80° C bis 100° C eingestellt. Da konnte ich aber nur raten. Ich fügte das Pulver nach und nach hinzu und war erstaunt, dass die Form viel mehr davon fasste, als ich erwartet hatte. Vielleicht verdichtet es sich, wenn man es erhitzt. Nach geraumer Zeit schien die Obergrenze erreicht. Den Sockel, auf dem die Figur steht, benutzte ich zugleich als Angusstrichter. Man erkennt, wie nur die äußeren Ränder davon ausgebildet sind und sich das Material nach innen zurückgezogen hat. Danach legte ich das Ganze in ein Wasserbad, damit der Ton sich auflöste.

Zu dieser Zeit war ich häufig in Sizilien und bemerkte, dass zahlreiche Häuser eine kleine gemauerte Nische haben, in der eine Marienfigur steht, meist zusammen mit einem kleinen Strauß Plastikblumen. Die Menschen dort glauben an ihren Schutz. In Sizilien ist die Maria weit „populärer“ als die Christusfigur. Kommt man an Ostern in eine Kirche, stehen zwar im Hauptschiff der Altar und dahinter der junge Mann am Kreuz. Doch im Seitenschiff steht eine kleine Madonna und ist über und über mit frischen Blumen geschmückt.

Daher dachte ich: Die Madonnenfigur ist eine plastische Möglichkeit. Ich stellte die gereinigte Figur auf ein kleines Bord. Aber wie sich zeigte, neigte sie sich weiter und weiter nach vorn. Ich schliff fast jeden Tag ein wenig vom Sockel ab. Aber der Prozess nahm seinen Fortgang und es blieb mir nichts übrig, als sie hinzulegen.

Anfangs befragt man sich natürlich bang, ob man selbst gläubig ist, entweder insgesamt christlich oder nur marianisch, ob man die Marienfigur sozusagen aus dem katholischen Glaubenskompendium herausgelöst verehrt. Als Folge davon fragt man sich womöglich, ob man diese Skulptur überhaupt machen darf, wenn man nicht gläubig ist. Aber nach und nach wurde mir klar, dass das aus meiner Sicht eine unwichtige Frage ist. Als Bildhauer, stellte ich fest, interessierte mich das Figurale, aber ich ging kaum so weit, selbst Figuren zu modellieren. Nur anfangs meiner Zeit an der Akademie der Bildenden Künste griff ich auf Spaziergängen gelegentlich in Pfützen, nahm den Schlick auf und formte kleine Buddhafiguren, die ich anschließend auf die Lehnen von Parkbänken setze, von denen der nächste Regen sie wieder herunter waschen würde.

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